an. Von den kärglichen Vorräten reichte mir der eine einen Schluck Kaffee, der andere ein Stück Brot, der dritte eine Messerspitze Butter, der vierte einen Rest Käse. Der Älteste von ihnen, ein Schreinergeselle aus Stuttgart , der mich noch aus der Zeit kannte, da ich, dreißig Jahre zuvor, als neunzehnjähriger in die So­zialdemokratie eingetreten war, hatte mir das Bett ge­richtet. Ich bestieg es sofort. Vor dem Einschlafen mußte ich die feuchten Augen trocknen. Diese braven Arbeiter, die man um ihrer Ideale willen eingesperrt hatte, waren doch bessere Christen, als die Knechte je­nes Mannes, der heuchlerisch verkündet hatte, das Christentum wieder zur Basis der gesamten Moral des deutschen Volkes zu machen! Die Namen der meisten Kameraden in dieser Stube habe ich

vergessen. Unver­gessen aber bleibt das reine Menschentum, das sie am Abend dieses schwersten Tages mir gegenüber offen­barten.

Das Leben der Lagerinsassen war damals noch in keine so satanische Ordnung gebracht, wie ich es später in Sachsenhausen beobachten konnte. Doch war das Sy­stem des Quälens, der Einschüchterung, der Demüti­gung, der körperlichen und seelischen Miẞßhandlung in seinen Anfängen schon stark ausgebildet. 1933 domi­nierten die SA- Leute in diesen Lagern. Sie wurden erst im Herbst jenes Jahres nach und nach durch die SS ab­gelöst. Himmler hatte es verstanden, die SS neben der SA zu entwickeln und zu seinem persönlichen Macht­instrument auszubauen. Diese Entwicklung entsprach dem faschistischen Prinzip, die eine Gruppe innerhalb der Bewegung immer durch eine andere zu überwachen und notfalls die eine gegen die andere auszuspielen. Dadurch ist die Niederwerfung der Röhm- Revolte im Juni 1934 ermöglicht worden.

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