waltmenschen gefangengenommen. Die ideellen Güter der Nation und die Erinnerung an die freiheitliche Bewegung von 1848 wurden von materiellen Bedürfnis­sen und Wünschen verdrängt. Aus Freiheit wurde die Freiheit des Gewinnstrebens, aus Patriotismus macht­politischer Nationalismus, aus der christlichen Religion ein Opferplatz für den Thron. Wer sich gegen diese Entwicklung stemmte, wurde mit dem Stigma der Va­terlandslosigkeit, Religionsfeindschaft und Staatsge­fährlichkeit belegt. Schon 1878 glaubte Bismarck stark genug zu sein, mit Hilfe des Gesetzes gegen die ge­meingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" alle Widersacher seines Systems vernichten zu können. Zusammen mit dem sinnlosen Kulturkampf gegen die katholische Kirche war das Gesetz ein würdiger Vor­läufer der nationalsozialistischen Vergottung des mili­taristischen Machtstaates. Beide begannen sie mit At­tentaten, 1878 auf den Kaiser, 1933 mit dem Reichs­tagsbrand, bei dem das cui bono, wem nützt es, die geistige Urheberschaft unzweideutig anzeigte. Sozia­listengesetz und deutscher Faschismus dauerten je zwölf Jahre.

Es gab im Deutschen Reich eine Reihe von Grundrech­ten, die auch ihm den Charakter eines modernen Staats­wesens gaben: das allgemeine Wahlrecht zum Reichs­tag und in einer Reihe von Bundesstaaten, die Unab­hängigkeit der Rechtsprechung, die Presse- und Mei­nungsfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft , das Koali­tionsrecht. In einem Lande jedoch, in dem die reak­tionären Strömungen immer wieder Oberwasser beka­men, und in dem führenden Staate mit seinem Drei­klassenwahlrecht, preußischem Militarismus, Junker­tum und Schwerindustrie, einen starken Halt hatten, konnten diese Rechte nie zu voller Wirkung kommen.

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