Dem Deutschland von 1870 bis 1918 gewährte Bismarck das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht zum Reichstag. Ihm ging es dabei aber nicht um die Verwirklichung eines Grundsatzes der politischen De­mokratie. Diese haßte er vielmehr wie nur je ein preu­Bischer Junker sie gehaẞt hat. Das freie Wahlrecht war ihm nur Klammer um das von ihm geschaffene Reich. Der große Realpolitiker glaubte mit ihm bei der Viel­heit des politischen und wirtschaftlichen Lebens inner­halb des deutschen Partikularismus alle Schwierigkei­ten beseitigen zu können. Wenn ihm aber keine andere Lösung blieb, so zeigt das deutlich, wie die Entwick­lung auch in Deutschland der Demokratie einen Spalt geöffnet hatte, durch den sie hindurchschlüpfen konn­te. Sonst aber blieben alle Bastionen der Reaktion, vor­an das preußische Dreiklassenwahlrecht, unangetastet. Kaisergewalt, Militarismus, Polizei und Bürokratie wirkten zusammen, um jeden frischen demokratischen Luftzug fernzuhalten. Kein Briefträger durfte Sozial­demokrat sein, viel weniger natürlich ein höherer staat­licher Funktionär. Es gab Zeiten, da auch liberale und demokratische Elemente die gleiche Ablehnung erfuh­ren. Das galt besonders für die preußische Bürokratie, die ihren streng konservativen Charakter mit großer Zähigkeit verteidigte. Ganz zu schweigen von dem Offi­zierskorps, dessen Exklusivität beinahe Weltruhm ge­noẞ. In ihm herrschte der Adel, weit über das Ende seiner historischen Mission hinaus. Die sozialistische Bewegung, die, von gelegentlichen Rückschlägen abge­sehen, von Wahl zu Wahl lawinenhaft anschwoll, wurde zu einer oppositionellen Rolle verurteilt und damit zwangsläufig in die Verneinung gedrängt. Trotzdem blieb diese Opposition nicht ohne praktische Erfolge, auch wenn diese hinter den Möglichkeiten einer direk­

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