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holt beschleunigt nach, was es versäumt hat. Aber der erfahrene Arzt weiß Bescheid. Es wird immer wieder aussetzen und dann, eines Tages...
Natürlich hatten wir in unserem, durch eine weise Zensur von der Wahrheit luftdicht abgeschnürten Österreich keine Ahnung, was vorging. Wir verbrachten ein paar Sommerwochen in einem schönen Salzburger Hotel, wo es noch etwas, wenn auch nicht viel, zu essen gab; unser angeschimmeltes ungarisches Weizenbrot verfolgte uns auch hieher als erwünschte Zugabe. Am Abend wurde getanzt und gesellschaftlich gab die achtzigjährige Fürstin Pauline Metternich den Ton an. Sie sagte von Zeit zu Zeit ein blitzgescheites Wort, das dann ihre Verehrer zur allgemeinen Erheiterung weitertrugen, und erzählte im vertrauten Kreis ihre Anekdoten aus dem Zweiten Kaiserreich, die ihr bei Lebzeiten niemand nacherzählte. Sie zerbrach zum fünfhundertsten Male ihren Fächer bei der ,, Tannhäuser"-Premiere in Paris , die sie als österreichische Botschafterin ermöglicht hatte, und wiederholte zum achthundertsten Male, was sie einem Gratulanten zum sechzigsten Geburtstag erwidert hatte, der ihr einreden wollte, daß sechzig ,, kein Alter" wäre.„, Kein Alter", sagte sie ,,, für eine Kathedrale. Aber für eine Dame...?" Dazwischen berichtete einer ihrer Getreuen über Lebensmittelkrawalle in der Stadt: ,, Das Volk beginnt sich zu rühren, Durchlaucht!" Sie antwortete nicht wie der alte Kaiser Ferdinand: ,, Ja, dürfen s' denn das?" Aber sie erzählte eine Anekdote aus der Zeit der Wiener Revolution anno 1848, als die alte Dame mit den Feueraugen und dem Negermund noch ein halbwüchsiges Mädchen war. Irgendein aufgeregter Bürger rief in ihrer Nähe:„ Es lebe die Repu blik !" Worauf die Elfjährige wortlos auf ihn zuschritt und ihm eine schallende Ohrfeige versetzte. ,, Das einzige Mittel in solchen Fällen, man darf sich nur nicht fürchten vor dem Pöbel." Wenn der Kaiser Napoleon ihr gefolgt hätte...


