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ERLEBTES OSTERREICH
lich nur vorübergehenden Austritt Europas aus der Weltkulturgemeinschaft nach sich zogen; und der sie zu verantworten hatte, strich, als mein Vater diese seine Jugenderinnerung auffrischte, bereits leibhaftig in Wien umher. Es war ein gewisser Adolf Hitler , ein armseliger Phantast, der in dem Gärtchen vor der Akademie der bildenden Künste hungrig herumlungerte und für Lueger schwärmte. Das taten viele.
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Wien, die Kaiserstadt, die sich in ihrem selbstbewußten Glanze sonnte es war ein Abendsonnenglanz übersah die Gefahr und überhörte die Warnung. Es überhörte den Flügelschlag der Geschichte auch im Beginn einer anderen Bewegung, die den erhitzten Gemütern der Zeitgenossen eine andere, aber im Grunde verwandte Sprengstoffwirkung abgewann. Das war der deutsche Nationalismus, damals nur als die deutschnationale Bewegung des Herrn von Schönerer in Wien bekannt, die, gleichen Ursprungs, sich mit dem nach Wien verpflanzten Antisemitismus von allem Anfang an gefährlich gut vertrug. Die Antisemiten trugen weiße Nelken im Knopfloch, die Deutschnationalen Kornblumen, das war der ganze Unterschied. Kamen dann auch noch die roten Nelken der ,, Sozi" dazu, so ergab sich ein ganz hübscher Blumenkorso der Politik, wenn auch nicht derjenige der alten Fürstin Metternich , der mit einem von Jahr zu Jahr abflauenden Erfolg in den mailichen Praterauen die erste Gesellschaft und bald auch die zweite und dritte angeregt vereinte.
Diese deutschnationale Bewegung, deren Rädelsführer Schö nerer und Wolf hießen, und die bald genug in die Los- von- RomBewegung ausartete, war eine natürliche Folge des unnatürlichen Dualismus. Die selbständig gewordenen Magyaren wollten in ihrer Reichshälfte, die ja durchaus nicht nur aus Magyaren bestand, magyarisieren; dazu brauchten sie eine österreichische Reichshälfte, die germanisierte. Nationalismus sollte Trumpf sein diesseits und jenseits der Leitha , eines an sich ungefähr


