PRINCIPIIS OBSTA( Von vornherein widersteh!)
20. März 1934. Ich stand auf dem Bahnhof Westkreuz. Die Welt hatte einen ganz neuen Aspekt für mich bekommen. Von jetzt an mußte ich vergessen, wer ich war. Ich war jetzt XYZ, ein x- beliebiger ,, Heinz" ,,, Herrmann", Walter". Die Häscher der Gestapo standen hinter mir. Nur in irgendeinem Buch noch stand mein Name. Im Steckbriefregister. Niemand durfte jetzt wissen, wer ich war. Fest eingegraben in meinem Gedächtnis stand eine Anschrift. Dort fand ich den Faden, um mich an die verbotene Organisation anzuknüpfen.
Ich klopfte an eine fremde Tür. Ein unbekanntes Gesicht musterte mich miẞtrauisch.
,, Ich soll einen Gruß von, Hans' bestellen."
,,, Hans'? Ich kenne keinen, Hans'."
Jetzt mußte ich das Stichwort nennen.
"
Von Hans' mit dem blutigen Hemd", und ich reichte dem mißtrauischen Gesicht einen Zeitungsabschnitt, der diagonal durchschnitten war. Kritisch musterte die fremde Frau den Abschnitt und legte ihn an seinen Partner, den sie verwahrt hielt. Er stimmte. Ich wurde eingelassen, die Verbindung war geknüpft. Meine illegale Tätigkeit konnte beginnen.
Einige Tage später wurde mir ein ,, Treff" vermittelt. Ich lernte ,, Willi" kennen. Willi" war von einer gefährlichen Leidenschaftlichkeit. Nichts genügte ihm. Er war eine expansive Natur, die sich nur schwer in das Dunkel der Illegalität hineinfinden konnte. Immer wieder drängte er mit einer erstaunlichen Vitalität, die Grenzen der illegalen Aktion zu sprengen. Flugblatt und Zeitung seien absolut ungenügend. Man rechnete, ein Flugblatt wird von etwa zwanzig Personen gelesen, günstig kalkuliert. 200 bis 300 Flugblätter gelangen zur Verteilung, macht 5000 Leser. ,, Das ist zu wenig. Wir müssen die Öffentlichkeit mit massiveren Mitteln aufrütteln. Wir müssen solche Aktionen durchführen, die die ganze Bevölkerung tagelang von uns sprechen läßt, wenn wir wirklich einen Widerstand entfachen wollen." Er schlug vor, eine Einsatzgruppe zu bilden mit der Aufgabe, besonders wirksame Kampfmittel zu entwickeln. Der Vorschlag wurde akzeptiert. Ihm wurde die Durchführung übertragen, Mitarbeiter zur Verfügung gestellt und jede materielle_und finanzielle Hilfe zugesagt. Daneben natürlich lief die Herausgabe von Flugblättern und illegalen Zeitungen.
In einer Querverbindung hielt ich Kontakt mit dem 1944 hingerichteten Dr. Philipp Scheffer, der die für die SA bestimmte Zersetzungszeitschrift ,, Die rote Standarte" im Westentaschenformat herausgab.
Beim nächsten ,, Treff", etwa 14 Tage später, meldete mir ,, Willi" die Bildung der Sondergruppe. Sie bestand aus einem Tischler, einem Buchbinder, einem Klempner und einem koreanischen Studenten, der Chemiker war. Unser Plan ging dahin, in Form eines Buches( Lexikonformat) einen Sprengkörper zu schaffen, der gekoppelt mit einer Serie von Kanonenschlägen so konstruiert war, daß mit Hilfe der Sprengkraft an einem exponierten Ort Flugblätter in das Publikum geschleudert wurden. Der Mechanismus war mit einer gesicherten Zeitzündung zu versehen.
14 Tage später erklärte ,, Willi", daß die außerhalb von Berlin vorgenommenen Versuche befriedigend verlaufen seien. Als Termin für die Durchführung der Aktion wurde der Tag der 20jährigen Wiederkehr des Kriegsausbruches 1914, der 1. August 1934, festgelegt. Ich hatte jetzt die Aufgabe, die notwendigen Flugblätter mit einem entsprechenden Text zu liefern. Diese Flugblätter mußten auf hauchdünnem Papier abgezogen werden, um möglichst viel von
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