Karl Friedrich Goerdeler , Wilhelm Leuschner und Josef Wirmer hören das Urteil: ihrem Leben, das sie töglich eingesetzt, um sich der scheinbaren Un­abwendbarkeit des deutschen Schicksals entgegenzuwerfen, wird durch den Strang ein Ende gesetzt. Der konservative Goerdeler, rastlose Mahner und Kämpfer, Wilhelm Leuschner der Sozialdemokrat, dessen Bemühungen um die Heranführung der sozialistischen Arbeiterschaft an das Umsturzwerk nie erlahmten, und Josef Wirmer , der vitale Hasser nationalsozialistischer Vergewaltigungspolitik, der staatspolitisch reichbegabte, radikale christliche

Demokrat.

Die große, breite Gestalt Josef Wirmers überragt alle andern. Er erscheint besonders gestrafft. Sein Gesich* sieht fast hochmütig aus. Wer ihn kannte, weiß, daß er wohl noch einmal bewußt und mit todbereiter Energie allen seinen Abscheu, seinen Haß gegen das System in seinem Innern gesammelt hai, um sich selbst zu bestätigen, daß der Weg gegangen werden mußte, auch wenn er ihn nun in den frühen Tod führt.

Josef Wirmer brannte auf den Augenblick, in dem unter seiner Verant­wortung- er war ais justizmir.ister vorgesehen Deutschland wieder zu einem Rechtsstaat werden sollte. Wie oft haben wir seine Zornesausbrüche über die schmachvolle Handhabung der Rechtsprechung unter Hitler erlebt. Es war orgreifenn, ihn von der Scham sprechen zu hören, die er über die schmachvolle Versklavung des Richtertums empfand. Unerschütterlich war sein Verlangen auf Wiederherstellung eines unabhängigen Richtertums ge­richtet. Er war ein grundqütiger Mensch, aber erbarmungslos gewillt, die Spuren nationalsozialistischer Verderknis im Volk auszutilgen. Die Pläne für die Säuberung des deutschen Volkslebens trug er fertig in der Tasche. Nun mußte er an sich selbst die ganze abgrundtiefe Verworfenheit rational­sozialistischer Rechtsprechung erleben. Sein unerbittlicher Freiheits- und Rechtswille wird durch den Strang zum ewigen Schweigen gebracht. Zum ewigen Schweigen? So war es Wunsch und Glaube seiner Henker. Die drei Männer, deren letzle Stunden der schamlose Photograph des Dritten Reiches in zynischem Propagendainteresse festgehalten hat, sehen wohl in dieser Stunde schon das Schicksal ihrer Henker heraufziehen. Aber in der Stunde, in der das Leben zurückzutreten beginnt, wird kaum noch viel Roum : die Gedanken an diese Henker in ihnen gewesen sein. Wohl aber wird die Katastrophe, die nun, nach Mißlingen des 20. Juli unabwendbar er­schien, noch ihre letzten Stunden belastet haben.

Wir aber, die wir nur mit tiefster Bewegung dieses Bild in uns aufnehmen können, haben die Hoffnung daß ihnen in ihren schwersten Augenblicken eine Ahnung davon aufstieg, daf ihr Tod trotz des Mißlingens ihres mutigen Rettungswerkes ein Großes für unser Volk bedeutet. Hinter diesen drei Männern, die aus verschiedenen Schichten und verschiedenen Welt­anschauungen kamen, taucht die überwältigend große Zahl derer auf. die alle dem gleichen Befreiungsziei gedient und den gleichen Tod gestorben sind. Männer von links bis rechts vom sozialistischen und christlichen Ar­beiterführer, vom Beamten in höchster Staatsstelluna, vom Industriellen bis zum Wissenschaftler und freien Gelehrten, vom Soldaten bis zum. General.

23

23