Vorwort
Je größer eine Lüge ist, sagte Hitler , um so mehr Leute finden sich, die auf sie hereinfallen. Darin hat Hitler nicht gelogen, denn seine Lüge wurde geglaubt.
Heute nun hat diese Lüge ihre Früchte hervorgebracht. Zu den Millionen Soldaten, die in dem von Hitler verschuldeten Krieg gefallen sind, kommt noch die weit höhere Zahl an Opfern, die von dem Naziregime kaltblütig in den Lagern hingemordet wurden. Zehn Millionen ist die niedrigste offizielle Ziffer; zwanzig Millionen dürften der Wahrheit entschieden näherkommen.
Je größer das Verbrechen ist, um so weniger hält man es für glaubwürdig. Diese Neigung zum Selbstbetrug können wir bei allen feststellen, die der Hitlerschen Lehre Glauben geschenkt haben. Denn sie tun nun so, als bezweifelten sie die von den Nazis begangenen Verbrechen, indem sie sie einfach zu ignorieren suchen. Damit machen sie sich allerdings an den Verbrechen mitschuldig. Es ist so wie ein altes französisches Sprichwort sagt: ,, Man fällt nur nach der Richtung hin, nach der man zuvor neigt."
Wenn nun die ehrlich gesinnten Deutschen an einem neuen Deutschland bauen wollen, wie sollen sie es wissen, wie dieses Deutschland beschaffen sein soll, wenn sie über jenes keinen Bescheid wissen, das sie ersetzen zu wollen behaupten? Wie sollen die Deutschen von morgen ihre Pflicht besser erfüllen können, wenn die Deutschen von heute die Früchte des Deutschland von gestern, nämlich die Verbrechen des Dritten Reiches , ignorieren.
Natürlich ist es angebracht, daß die Justiz die Verbrecher bestraft. Aber es wäre noch besser, wenn es erst gar nicht zum Verbrechen käme,' dies sowohl im Interesse der Gesellschaft als in dem des eventuellen Schuldigen. Die Justiz kann Einhalt gebieten; der Mensch dagegen kann die Ursachen beheben. Und um sie zu beheben, muß er sie zunächst kennen. Im vorliegenden Werk befassen wir uns keineswegs mit dem moralischen oder juristischen Charakter der an der Menschheit begangenen Verbrechen*). Es ist ein ganz sachlicher Tatsachenbericht über die begangenen Schandtaten, der, wenn er seinen Zweck erfüllen soll, bei dem Leser die Ansicht voraussetzt, daß es nicht recht ist, Menschen wegen ihrer religiösen oder politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Nation zu verfolgen oder gar zu ermorden.
Diejenigen, die den Nazigeist innerlich noch nicht überwunden haben, lernen nichts beim Lesen dieses Werkes, denn es enthält nichts, was sie irgendwie überraschen oder verletzen könnte. Sie wären jederzeit bereit, wieder von vorn anzufangen, und die einzige Betrachtung, die sie dabei anstellen würden, ist die, welche man in den Zügen eines jeden der Nürnberger Angeklagten lesen kann: ,, Warum hat man sie denn nicht alle beseitigt!" Ein französischer Humorist hat in diesem Zusammenhang folgenden Ausspruch geprägt:„ Der Beweis dafür, daß es den Leuten im Jenseits ganz gut gefällt, ist dadurch erbracht, daß keiner von dort zurückkommt." Aus dem Nazi- Jenseits sind allerdings einige zurückgekehrt. Was die Nazis aber am peinlichsten berührt, sind nicht ihre Verbrechen, sondern die Tatsache, daß man um diese Bescheid weiß.
Wir aber wenden uns in brüderlicher Verbundenheit an alle ehrlich gesinnten Deutschen , an alle, die moralisch unter dem gelitten haben, was aus Deutschland geworden ist, an alle, die an einem Staatsgebilde, das der großen deutschen Tradition würdig ist, mitbauen wollen.
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Eine Zeitlang und auch jetzt noch neigte man dazu, das Verbrechen an der Menschheit als ein Verbrechen am gemeinen Recht zu betrachten. Träfe dies nun zu, so hätte die Welt keinerlei Grund zur Aufregung, denn jeder Staat besitzt ja sein Strafgesetzbuch. Wäre dem so, so hätte Nazideutschland , das ja auch sein Strafgesetzbuch besaß, alle diese Verbrechen gar nicht begangen. Wäre dem so, so hätte eine derartig beschränkte Anzahl von Henkern niemals eine so große Anzahl Opfer hinrichten können. Wäre es tatsächlich so, dann
*) Die juristische Seite des Verbrechens gegen die Menschheit, sowie die juristische Grundlage der alliierten Anklage behandeln wir in dem Werk ,, Das Verbrechen gegen die Menschheit". Seit dem 10. Mai 1946 bildet diese Arbeit beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg das Dokument F. 775.
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