geschichtlichen Entwicklung mußten mit einer Märtyrer­rolle rechnen, die unter den gegebenen Umständen die denkbar tragischste sein mußte. Richtig war auch ferner die Behauptung, daß alle diejenigen, die geglaubt haben, durch Ausweichen vor den ihnen geschichtlich gestellten Aufgaben und ihre widerspruchslose Anpassung an die für sie scheinbar günstige Konjunktur straflos davon­zukommen, einem Grundirrtum unterlagen, der bitter, bitter geahndet werden würde. Das, was wir z. B. trotz jahrzehntelanger Trennung und trotz unseres Kampfes uns noch erhalten haben, nämlich das Leben, haben andere schon längst verloren, obgleich sie glaubten, das Schicksal müsse ihnen ob ihrer Feigheit, ihres Still­haltens und ihres Schweigens oder gar Mitmachens gnädig sein, gleich einem Straußen, der die Gefahren nicht sieht, weil er den Kopf in den Sand steckt. Die Geschichte ist dabei oftmals sehr großzügig.

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Lager

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Zehn Jahre Trennung sind keine Kleinigkeit. Ob ich diese Jahre nun bei mir nehme: Zuchthaus Moor Bomben Hunderte, ja Du wirst es kaum glauben, Tausende von Leidensgenossen sind um mich her verreckt. Oder ich nehme sie auf Deiner Seite: Sorge um die Existenz, der Kampf ums Dasein in seinen mannigfaltigen Variationen, die Auseinandersetzungen mit der Gestapo , die Pflicht dem Kind gegenüber, die ständige Angst um mich, dazu auch Bombengefahr, Krankheit und die Reibungen des täglichen Lebens. Alle diese Jahre haben uns keine Freude gebracht und konnten ohne Mühe ein Gemüt, eine Seele zerstören. Und doch! Diesen Widrigkeiten hätte ein starker, selbst­bewußter Mensch trotzen können, wenn nicht noch andere, gefährlichere Umstände ganz allmählich ihr zer­setzendes Gift ausgebreitet hätten. Der Boden war ja durch den zermürbenden Kampf günstig vorbereitet. Dieses Gift, vom Gesichtspunkt des Destruktiven und

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