21. September 1944, abends. Vier Tage bin ich nun schon hier in der Zelle, und noch immer hat mir niemand gesagt, warum, weshalb. Es ist so schwer, mit dem Leben abzuschließen, wenn man noch so jung ist, Ich bin hier mit drei Frauen zusammen, die teils geistig anomal, teils minderwertig sind. An Aussprachen ist überhaupt nicht zu denken. Warum wartet man mit dem Morden so lange? In meinem Kopf dreht sich alles. Ich erwäge alle Mög- lichkeiten.
23. September 1944, abends. Meine liebe, gute Hilde. Ich bin so froh, daß wir uns noch getroffen haben. Du hast Dich wirklich wie ein treuer Kamerad gezeigt und mir noch so viel Liebe erwiesen, ich danke Dir. Alle Kameraden, die mich gar nicht kannten, alle waren so gut zu mir. Jeden Tag schließe ich mit dem Leben ab und denke, heute abend ist es so weit, und die Nacht ist ent- setzlich. Dann fängt wieder ein Morgen an, und die Qual beginnt von neuem. Werden sie heute kommen?
25. September 1944, abends. Heute will ich Abschied nehmen von meinen Lieben. Ich habe eine Ahnung, daß ich nicht mehr lange hier bin. Meinem lieben, treuen Vater müßt Ihr sagen, daß ich ihm keine Schande gemacht habe. Ich habe niemanden verraten. Meine Gedanken sind ständig bei ihm. So gern hätte ich ihn noch einmal ge- sprochen. Meine gute Mutter, meine Schwester Mia, meine Brüder, allen meine letzten Grüße. Mia, wir hat- ten uns gerade die letzten Jahre so gut verstanden. Ver- geßt Eure Katja nicht.
27. September 1944, morgens. Heute früh war der Schutzhaft-Lagerführer bei mir und hat mir mein Urteil vorgelesen in so einer höhnischen, gemeinen, dreckigen Art, diese Bestie! Sie sind ja das Morden gewohnt und haben eine besondere Freude, sich an den Qualen ihrer Opfer zu weiden. Bei mir hat er aber kein Glück. Also wird es wohl heute abend passieren. Ich hätte doch so gerne die neue Zeit erlebt. Es ist so schwer, kurz vorher gehen zu müssen. Lebt alle wohl, vielen Dank noch ein- mal für alles Gute, was Ihr mir in der kurzen Zeit angetan habt. Grüßt alle: Hilde, Maria, Sterndl, Mimi, Hermi, wenn ich mir was wünschen könnte, so müßt Ihr mir jetzt das Lied„O sing mir ein Lied, daß ich scheiden muß" singen.
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