Meine Mutter, meine herzgeliebte Mutti!

Nun ist es bald so weit, daß wir Abschied nehmen müssen für immer. Das Schwerste, die Trennung von meinem kleinen Hans, habe ich hinter mir. Wie glücklich hat er mich gemacht! Ich weiß ihn gut aufgehoben in Deinen treuen lieben Mutterhänden, und um meinetwillen, Mutti, versprich es mir, bleibe tapfer. Ich weiß, daß Dir das Herz brechen möchte, aber nimm es fest, ganz fest in Deine beiden Hände. Du wirst es schaffen, wie Du es immer geschafft hast, mit dem Schweren fertig zu werden, nicht wahr, Mutti? Der Gedanke an Dich und das Herze­leid, das ich Dir zufügen muß, war und ist mir der un­erträglichste; daß ich Dich allein lassen muß, in dem Alter, wo Du mich am nötigsten brauchst. Kannst Du mir das je, jemals verzeihen? Als Kind, weißt Du, wenn ich immer solange wach lag, beseelte mich der eine Ge­danke: vor Dir sterben zu dürfen. Und später hatte ich den einen Wunsch, der mich ständig bewußt und un­bewußt begleitete: ich wollte nicht, ohne ein Kind zur Welt gebracht zu haben, sterben. Siehst Du, diese beiden großen Wünsche haben sich erfüllt, also somit mein Leben. Ich gehe nun zu meinem großen Hans. Der kleine Hans hat so hoffe ich das Beste von uns als Erbe mitbekommen. Und wenn Du ihn an Dein Herz drückst, ist Dein Kind immer bei Dir, viel näher, als ich Dir jemals sein kann. Der kleine Hans so wünsche ich hart und stark werden mit einem offenen, warmherzigen, hilfsbereiten Herzen und dem grundanständigen Charakter seines Vaters. Wir haben uns sehr, sehr lieb gehabt. Liebe leitete unser Tun. ,, Wer immer strebend sich be­müht, den können wir erlösen", sagt Goethe.

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Meine Mutter, meine einzige gute Mutter und mein kleines Hänschen, all meine Liebe ist immer ständig um Euch, sei tapfer, wie ich es auch sein will.

Immer Deine Tochter Hilde

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