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12. Juli 1936 Liebe Mutti!:

Alea jacta est! sagt der alte Römer. Die Würfel sind gefallen. Wie Du bereits aus der Presse erfahren hast, bin ich zum Tode verurteilt. Auch dieses Urteil hat mich nicht aus der Ruhe gebracht. Im Gegenteil nie habe ich mehr Ruhe gehabt wie jetzt.

Das Urteil ist unter allen Umständen ein Fehlurteil, und deshalb ist es meine Aufgabe, die wenigen mir zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu benutzen. Ich spreche von Rechtsmitteln und nicht von Gnade. Ein Gnadengesuch werde ich nicht einreichen, weil ich nicht um Gnade bitte, sondern mein Recht haben will. Da nun das Gericht in letzter Instanz sein Urteil gefällt hat, so bleibt mir nur noch, nachdem ich das Urteil schriftlich vor mir liegen habe, was allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen kann, der Weg eines Wiederauf- nahmeverfahrens, und dies muß unter allen Umständen gelingen. Wie Du siehst, behalte ich wohl meine Ruhe, was nicht gleichzusetzen ist mit Resignation. Ich kann Dir leider nicht alle Gründe, die zum Urteil führten, hier schreiben. Soviel ist aber sicher, daß ich bis zum letzten Atemzug für meine Freiheit kämpfen werde. Ich habe nie den Tod gefürchtet, und auch heute bin ich nicht bange davor. Der eine stirbt im Bett, der andere auf dem Feld im Kampf, und es gehört nicht viel Philosophie dazu, um würdig zu sterben.

Man hat mir auch die Ehre abgesprochen. Nun, wohl- an, Millionen Menschen betrachten mich als Ehrenmann, und das ist das Urteil, das mich stärkt und das ich an- nehme,