vielleicht durch Meere, sind wir voneinander getrennt. Ich ahne es nicht. Auch weiß ich nicht, ob wir uns jemals wieder­sehen. Es wird mir schwer, zu schreiben, aber wer weiß, ob das nicht der letzte Frühling ist, den ich erlebe. Nein, nein, was sollen diese pessimistischen Gedanken. Nur nicht an die Zukunft denken. Ich will Dir nun von dem ersten Frühling aus meiner frühesten Kindheit erzählen...

Am Rande eines kleinen Städtchens, mitten im Garten, stand unser Häuschen, das eine Veranda schmückte. Es war das letzte Häuschen, und dahinter blickte man auf weite, mit gel­ben Dotterblumen bedeckte Wiesen, durch die ein Weidenweg führte. Vor dem Hause befand sich ein großes Blumenrondell, in dessen Mitte ein Stamm dunkelroter Rosen, der an einen hohen Pfahl angebunden war, auf dessen Spitze eine große, buntschillernde Glaskugel thronte. Diese Kugel sah wunder­hübsch aus und erschien mir damals riesenhaft groß und mär­chenhaft schön. Diese Kugel war auch etwas Besonderes, sie war einmalig im ganzen Städtchen. Oft standen barfüßige, schmutzige Judenkinder am Gartenzaun, plapperten leise mit­einander und zeigten bewundernd und kopfschüttelnd auf die farbige gläserne Kugel. Von weitem sah ich den Kindern zu, beneidete sie, daß sie barfuß gehen durften, im Sande und in Pfützen waten und miteinander spielen konnten. Ich hatte keinen Bruder als Spielgefährten, ich war das einzige Kind. Ständig kränkelte ich, meine Eltern verzärtelten mich sehr und dennoch fühlte ich schon damals eine unbändige Sehn­sucht in mir nach etwas Unbekanntem. Ich besinne mich noch heute ganz genau, wie ich Tag für Tag an der Gartenpforte stand, mich auf den Querbalken stellte und erwartungsvoll den Weidenweg entlang schaute. In meiner Kinderphantasie

-

69