Tagelang verfolgte mich ein Gesicht oder eine Gestalt aus dem Zuge der totgeweihten Kinder. Wie oft hatte ich sie hinter dem Stacheldraht spielen sehen, ob es das kleine Mädchen in dem grünen Mäntelchen war, ein ballspielender Junge oder das Baby im rosa Strampelhöschen auf den Armen seiner glücklichen Mutter.
Bis an mein Lebensende werde ich einen bestimmten Sonntagmorgen im Frühling nie vergessen. Man hatte den Eindruck, als hätten die Massenexekutionen etwas nachgelassen. Transporte kamen nicht an, und die Rauchwolken schienen sich auch etwas gelegt zu haben. Auf meinen Spaten gestützt, blickte ich die Todesstraße, die heute menschenleer war, entlang.
Mein Gott, vielleicht werden sie doch endlich die Transporte einstellen, dachte ich und spürte, wie so ganz selten in Ausch witz , daß mein Herz für einen Augenblick ganz still wurde. Plöglich sehe ich aus der Richtung der Krematorien einen Kinderwagenzug kommen. Die Häftlinge hatten den Befehl erhalten, die leeren Kinderwagen auf den Bahnhof zu fahren. Im ersten Augenblick versuchte ich noch, die Reihen zu zählen, aber bald merkte ich, daß es sich um eine unübersehbare Menge handelte, die ich zahlenmäßig gar nicht so schnell erfassen konnte.
Weiße, elfenbeinfarbene, dunkelblaue, hellgrüne, größere und kleinere Wagen defilierten vor meinen Augen, und in jedem dieser Wagen hatte ja noch kurz vorher ein rosiges, gesundes Baby gelegen, die Zukunft und das Glück seiner Eltern. Bei dem Anblick dieses nicht enden wollenden Zuges fiel mir eine Schilderung meiner Freundin, einer Arztfrau, ein, die kurz vor Kriegsausbruch von einer Auslandsreise zurückgekehrt
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