Manchmal wurde eine der Mütter in das Büro gerufen, wo ihr für einige Sekunden eine Photographie ihrer Kinder, die in dem Brief eingelegt worden war, gezeigt wurde. Tränenüberströmt kehrte die Unglückliche dann zurück und erzählte schluchzend:
,, Ich sag' euch, wie groß und hübsch sie geworden sind, und gut sehen sie alle aus."
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Hin und wieder kam auch mal eine Kinderphotographie im Paket durch, die in einer Zuckertüte oder in irgend etwas anderem versteckt und der Revision entgangen war. Ich erinnere mich genau, wie mir eine Mutter freudestrahlend eines Tages die im Paket gefundene Photographie ihres Kindes zeigte. Es war ein sehr häßliches Kind, mit abstehenden Ohren, elend und schielend. Nach der Erzählung der Mutter hätte der Kleine von geradezu cherubinischer Schönheit sein müssen. Offenbar sah sie meinen Augen eine leise Enttäuschung an und sofort bemerkte sie:
,, Sieh nur an, wie sie ihn mir zugerichtet haben, die Härchen haben sie ihm abgeschnitten, dadurch sind seine häßlichen Öhrchen so zu sehen. Mit dem einen Auge schielte er schon immer, bloß ich habe dir nichts davon erzählt."
,, Er sieht wirklich elend aus, aber er ist doch sehr niedlich", sagte ich tröstend.
So tauchte das Kinderproblem immer wieder auf. Auf der Hauptstraße, der sogenannten„ Lagerstraße", lief immer ein kleines Mädchen, mit langen, blonden Zöpfen herum; es war immer sehr hübsch angezogen und trug eine Armbinde, auf der ,, Läuferin" stand. Dieses Kind war ein slowakisches Judenmädchen, dessen ganze Familie umgebracht worden war. Irgendeine SS- Frau hatte sich dieser reizenden, gar nicht jüdisch aussehenden Kleinen erbarmt und sie vor dem Verbrennungs
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