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fessor, kennen Sie mich?" Er lächelt. ,, Doch, ich ken­ne Sie sehr gut. Ja, sehr gut." Noch einmal drückt er meine Hand und geht dann, von den andern Do­zenten begleitet, hinaus. Die andern bestürmen mich mit Fragen, woher ich den Professor kenne. Ich weh­re. ab. Ich fühle unbestimmt, was dieser hatte aus­drücken wollen und nun kommt mir meine Frage so üerflüssig vor..

Sieben Jahre später führt der Zufall mich in Eng­land mit seiner Frau zusammen. Sie sprach von ihrer Sorge um den Gatten, der noch in Deutschland war. Ich habe noch nicht erfahren, wie es ihm später er­gangen ist.

Die Jüdin Lessie

Das war ein schwerer Abschied von allen eng­lischen Lieben. Wann würden wir uns wiedersehen? in der Zeitung hatte ich von schlimmen Ausschre tungen in Berlin gegen die Juden gelesen. Diese Be­richte würden ohne jeden Kommentar gegeben, was ich nicht begriff Die indifferente Haltung der eng­ lischen öffentlichkeit fing an, mich zu irritieren. Bei Einkäufen für Mrs. Beaton wurde ich öfter ge­fragt: Na, was macht Euer Herr Hitler? Dürft Ihr wirklich nicht Eure Meinung sagen und schreiben?" Wenn ich das bejahte, schüttelten sie lachend den Kopf. Nein, so was!" Als ich sie fragte, ob sie denn gar nicht daran dächten, daß ihnen Herr Hitler " auch einmal gefährlich werden könnte, lachten sie wiederum. Uns? Aber davon kann doch gar keine Rede sein!"

Ich fuhr bekümmert heim.

Wie immer machte ich in Hannover Haft. um an. andern Morgen zu Deinen Eltern zu fahren. Wie zuvor. wollte ich beim Roten Kreuz für einige Stun­den übernachten. Ich trug im Bahnhofsbüro meine Bitte einer gestrengen Stehkragendame Potsdamer Typ vor und erfuhr ein hartés..Nein!".

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Ich fragte: ,, Ist alles besetzt?" und hörte: Gehen Sie doch, ich sage Nein!"

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Ein Herr war mit im Zimmer und sagte vermit­telnd: Es ist wirklich alles besetzt." Darauf kreischte die Schwester: ,, Raus mit Ihnen! Ich sage raus!"

Empört ging ich zur Tür, um einen Polizisten zu rufen, als die Worte fielen: Dieses verdammte Ju­denpack soll doch sehen, wo es bleibt!"

Ich wandte mich um und sagte ruhig: ,, Sie werden dies noch sehr bereuen!", worauf der Herr sich als Kriminalbeamter auswies und meinen Paẞ forderte.

,, Sie ist die Jüdin Lessie!" schrie das Weib. Der Beamte gab ihr achselzuckend meinen Paß. Die Schwester brachte die Beleuchtung auf 100 Kerzen

und musterte mich. Aufgeregt ging sie zum Gäste­buch, blätterte darin und rief: ,, Sie haben ja schon mal hier übernachtet!"

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Ja."

Sie fuhr leiser fort: ,, Ich habe dahinter geschrieben: , War sehr dankbar."

Nun hätte ich tast gelacht. Das Rote Kreuz erteilte Zensuren für das Verhalten nach einigen Stunden. Pritschenschlafes?

Die gute Schwester zeigte Sammetpfötchen. ,, Ich habe Sie verwechselt, liebes Kind. Ich bin überarbei­tet. Die Beleuchtung war schlecht."( Drohend zu dem die Beleuchtung war Herrn: Hören Sie, die schlecht!").

Dann schrie sie mich wieder an: ,, Warum sind Sie aber auch so braun! Und die schwarzen Haare!". Ich war wirklich durch die Sonne verbrannt wie ein Indianer und für die Haare konnte ich nicht. Als Kuriosum sei bemerkt, daß kurz zuvor im Abteil ein Herr von der Gestapo in Berlin ein ganz besonderes Interesse für diese meine Bräune mitsamt der Schwarzhaarigkeit an den Tag gelegt und mich, um ein Wiedersehen gebeten hatte..

Die Schwester brachte mich nun fast mit Gewalt zu einer Pritsche( von denen mehrere unbesetzt wa­-ren!), deckte mich zu, nannte mich ,, ihr liebes Kind" und sah wie eine Mutter nach mir, daß mir ja kein Leid geschah.

Diese schändliche Kreatur! Immer wieder dachte ich: Wenn ich nun wirklich eine Jüdin gewesen wäre!"

Ich weinte vor Scham, daß ich mich auf die Prit­sche habe drücken lassen. Ich hätte ihr ins Gesicht spucken sollen, obwohl das nicht fein gewesen wäre. So sah mich, von Englånd kommend, Deutschland im Juni 1938 an.

Nicht Freiheit

aber Entlassung

Am 5. August 1938 schrieb ich ganz impulsiv, wenn auch ohne Hoffnung auf Erfolg, an Himmler :

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..Ich denke daran daß Sie am 29 Juli in der Universität Breslau gesagt haben: Wir dürfen nicht vergessen. daß jeder einzelne ein Glied der Kette ist. die ohne ihn unter­brochen und geschwächt wird.

Und ich denke auch mit viel Bitterkeit daran. daß ich seit so vielen Jahren trotz Jugend und Gesundheit abseits stehen muß°

Am 13. August 1938 wurden Dir die Tore des Kon­zentrationslagers geöffnet, aber erst 7 Jahre später sollte Dir die wahre Freiheit wieder gegeben werden. Daß wir sie beide nutzen, zeigt dieses Buch und ,, Das Andere Deutschland".*).

Geschrieben im November 1945.

*) Die Verfasserin hatte damals nicht geahnt. daß die Lizenz für die Zeitung erst nach zwei Jahren errungen werden konnte.

Rotationsdruck C. W. Niemeyer, CDB. 292, Hameln , 2. 48, KI. ,, C"