..... da Sie jedoch Ihre letzte Arbeitsstelle" aus politischen Gründen verloren haben.... erhalten Sie bis 5. Juni 1933 keine Unterstützung."
Es hat einen langwierigen, harten Kampf gekostet, das Arbeitsamt von dieser Auffassung abzubringen. Inzwischen durfte ich von der Jugendfürsorge einige Mark beziehen und wurde dann der Wohlfahrt überwiesen. Ging ich nicht zum Polizeipräsidium( später Gefängnis Moabit und Plötzensee), um Dir Pakete zu bringen, so stand ich viele Stunden in den zugigen, schmutzigen Korridoren der Wohlfahrts- und Unterstützungsämter herum. Neun Monate dauerte die Arbeitslosigkeit. Meine Stempelkarte ist bunt und voll ausgefüllt, aber ich möchte doch diese schweren Gänge nicht missen. Mir ging es nach den ersten Monaten nicht mehr schlecht, doch ich kam in Berührung mit dem trostlosesten Elend und der bittersten Not. Beim trüben Schein der Flurbeleuchtung lernte ich das Leben von seiner düsteren, unheilvollen Seite kennen. Ich belauschte Gespräche und las in Gesich tern. Als ich nach neun Monaten erfolgloser Suche dem Arbeitsamt die erhaltene Stelle mitteilte und der Schalterbeamte gratulierte, murmelte ein Arbeiter hinter mir: ,, Da haste Glück jehabt, Meechen. Wird ooch nich lange dauern!"
Gefängnis und Zuchthaus
Weißt Du noch, als wir uns nach neun Wochen Haft zuerst wiedersahen? Zum ersten Mal schritt ich durch die Höfe eines Gefängnisses. Schwere Eisentüren öffneten sich und wurden hinter mir verschlossen. Ich durfte Dich eine Viertelstunde sprechen. Dann sah ich Dich durch ein großes Eisengitter gehen und hörte Deine Schritte auf dem langen Gang. Jch lauschte Du entferntest Dich mit dem Wärter immer mehr. Leise wurde der Hall, immer leiser und verebbte dann ganz. Ich stand vor dem Gitter und konnte es nicht fassen
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Nur dieses eine Mal habe ich Dich in BerlinPlötzensee sprechen dürfen. Aber sehr oft brachte ich Pakete. Wir mußten stundenlang in dem Vorraum des Gefängnisses warten, meistens 50 bis 60 Frauen. Es ging oft sehr erregt zu. Viele weinten. Ich hörte von verschwundenen Männern, aufgefundenen Leichen, von Schüssen in die Wohnungen und grausamsten Mißhandlungen. Ich erfuhr von den Greueltaten der SA in den Kellern der Hedemann- und Papestraße.
Einmal hatte eine Frau in den gefüllten Warteraum hineingerufen: ,, Heil Moskau". Sie hatte Glück gehabt. Es war kein Spitzel zugegen gewesen.
Am Kanal in der Nähe des Gefängnisses war ein kleines Restaurant. Dort lernte ich eine weißhaarige Dame kennen, die Mutter eines Werner Hirsch . Wir trafen uns dann öfter, und ich hörte, wie schlimm es ihrem Sohn ergangen war. Sonnenburg ist furchtbar, wenn nur Ihr Verlobter nicht nach Sonnenburg kommt!"
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Ich sah aus der Richtung des Gefängnisses einen Trupp heranmarschieren. Ich wußte, daß Deine Übersiedlung beschlossen war. Wohin? ,, Nur nicht nach Sonnenburg!" flehte mein Herz. Da zogt Ihr entlang Warst Du dabei? eine graue Kolonne. Ich wohnte bei Juden. Als der erste Boykott ange-sagt war und die SA vor allen Läden, auch den ,, christlichen" Wache stand, um. die Juden am Einkauf zu hindern, bat mich meine Wirtin, ihr Eẞwaren zu besorgen. Ich habe in meinem Zimmer über diese Bitte zornige. Tränen vergossen, so schämte ich mich meiner Landsleute. Ich sah einem SA- Mann mit so nackt zur Schau getragener Verachtung ins Gesicht, daß er mich straßenweit verfolgte.
Einige Wochen fuhr ich zur Erholung nach Hause. In der kleinen Wohnung meiner Mutter trafen sich unsere Freunde aus Harburg und Hamburg , die heimlich und auf Umwegen durch die Heide gekommen waren. Wir sprachen uns aus und sahen mit Sorge in die Zukunft.
Am 25. September 1933 schriebst Du in einem ersten Brief aus dem KZ Brandenburg: ,, Erwarte von der Sprechstunde nicht zu viel. Das soll hier anders sein als in Plötzensee."
Es war anders. Ein altes, düsteres Gebäude mit Zehn dicken Mauern, das ehemalige Zuchthaus. Minuten Sprechzeit. Links und rechts vom Häftling wie vom Besucher ein SS- Mann. Vor dem Besucher eine Barriere, dann ein Raum, dahinter, vor dem Häftling, eine neue Barriere. Es war sehr beliebt bei der SS, den Besucher nicht zu einem Gespräch mit dem Häftling kommen zu lassen, Sie unterbrachen mit den hergesuchtesten Fragen jeden Versuch einer Unterhaltung. Die zehn Minuten waren auf diese Art herum, wir mußten gehen. Eine Frau sagte:" Und wenn wir " Du gedraußen sind, werden sie geschlagen schlagen? Das war Brandenburg .
Erste Begegnung mit der Gestapo
Ich war inzwischen, da meine bisherigen Wirtsleute nach Amerika ausgewandert waren, in den Stadtteil Moabit gezogen. Nachdem ich das Zimmer angesehen und gemietet hatte, rief mich der
neue Wirt noch einmal zurück, als ich bereits die Wohnung verlassen hatte. Er sah mich forschend an und sagte dann leise: Aber wir sind Juden-- ,, Ja, und-?" fragte ich und fühlte wieder die
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