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Und dann wird die gestreifte Kleidung des Häftlings mit Zivil­kleidung gewechselt. Bis die letzte Stelle mit der Mütze in der Hand passiert ist, vergehen Stunden. Ein Revers wird zur Unterschrift vor­gelegt, in welchem sich u. a. folgender Passus befindet: Es ist mir be­kannt, daß es verboten ist, über die Einrichtung der Konzentrations­lager zu sprechen. Im Vorbeigehen versuchen viele Bekannte mir noch einmal die Hand zu drücken: ,, Vergiß uns nicht!"

Ein SS- Posten begleitet uns einige Hundert Meter bis zum Schlag­baum. Häftlinge arbeiten hier draußen am Straßenbau. Sie winken und rufen. Es ist die letzte Arbeitskolonne, die ich sehe, die letzte Kolonne der Sklaven in Zebrakleidung.

Wir sind vier entlassene Häftlinge. Einer ist aus Wien . Sie gehen rasch als flüchteten sie. Ich kann ihr Tempo nicht einhalten und bleibe etwas zurück. Meine Gedanken möchte ich konzentrieren. Ich kann es nicht. Ein grausiges Bild drängt sich in dieser Verfassung mir auf. Ich denke an die 7000 Toten während meiner Lagerzeit. Ziehe Ver­gleiche mit den Karawanenstraßen in der Wüste, die erkenntlich sind an den gebleichten Gerippen von Sklaven, welche an diesen Straßen starben. Und nun beginne ich zu rechnen und komme zu dem Ergebnis, daß die Toten von Buchenwald diese Straße in dichter Reihenfolge säumen würden bis nach Weimar .

Ich komme in die Nähe der Stadt. Eine ältere Frau fährt einen Kin­derwagen mit einem kleinen Kinde. Ich bleibe stehen und schaue immer wieder das Kind an. Fünf Jahre lang habe ich keine Kinder gesehen. Sahen die kleinen Kinder immer so aus, so zart, ihre Köpfe so feinschnittig? Ich gaube, sie müßten anders ausgesehen haben vor meiner Verhaftung, vor fünf Jahren.