gemessen. Trotzdem wir hermetisch von der Welt abgeschlossen sind, erfahren wir alles, wenn auch etwas verspätet. Dafür sorgen die Häftlinge, welche draußen die SS bedienen müssen, die Stiefelputzer, welche in den Taschen und Papierkörben auf der Suche nach Zigarettenstummeln auch Zeitungen finden und mitbringen. Dafür sorgen trotz Verbots einige redselige Scharführer, und nicht selten hören einzelne von uns in der Radioreparaturwerkstatt die Nachrichten der Auslandsender.
Ich muß nochmal betonen, wir haben Freunde und Kameraden, an denen wir uns aufrichten, denen wir beim Abschied nachtrauern. Und wenn sie uns verlassen haben, ist es, als müßten wir zweifeln an der Lauterkeit ihrer Herzen. Denn sie ließen uns ja in dieser Wüste allein. Die Sonne läßt ihre ersten warmen Strahlen als Anzeichen des kommenden Frühlings über die Barackendächer gleiten. Den Schlammboden berühren sie noch nicht, denn Buchenwald ist ja der Nordabhang des Ettersberges. Und doch lösen diese ersten Sonnenstrahlen Hoffnung aus. Das Erdreich wird wärmer. Bald werden die Häft linge in minutenfreier Zeit ihre Körper entblößen, um Sonne zu schlürfen. Ihre ausgedörrten Leiber verlangen Sonne als Nahrung. Nahrung solcher Art wird immer noch verlangt von den Herzen, welche in diesen Menschen schlagen, Herzen, die niemals aufhörten zu empfinden, was Freiheit, Wahrheit, Recht bedeutet. Auch wenn die Menschen hier zu Figuren werden, mit Sklavenantlitz. Ihr Denken und Empfinden ist rebellisch, auflehnend gegen das, was Tyrannentum geschaffen.
Es ist der 14. April, der Geburtstag des Häftlings Nr. 1407. Ein besonderer Tag, ein Sonntag, ein Ostertag. Der Frühappell ist vorüber. Der Häftling geht anschließend zur Baracke I, an den Arbeitstisch, der auch meistens in der Freizeit sein Platz ist. Hier duckt er immer seinen Kopf und schaut auf die Arbeit, wenn SS im Raum ist. Hier hat er seine kleinen privaten Habseligkeiten, in einem Versteck eine zerrissene englische Zeitung und ebenso versteckt ein Buch, das ihn interessiert. Und jede Minute, die er sich frei, d. h. nicht beobachtet fühlt, nimmt er für sich in Anspruch. Er ist einer der lebendig Begrabenen, die weiterleben, ein Eigenleben, soweit es die einfache Häftlingsnummer zuläßt. ,, Nicht im Guten und nicht im Schlechten auffallen ist mein Grundsatz", hatte er dem Lagerarzt Dr. Köbrich gesagt, als dieser sich erbot, bei der Lagerleitung etwas für ihn zu tun, ihm eine bevorzugte Stellung zu verschaffen. Und damit hatte er den Lagerarzt gebeten, nichts für ihn zu tun. An dieser Stelle, an seinem Arbeitsplatz suchen die Kameraden ihn auf, die ihm etwas zu sagen haben, an dieser Stelle wechseln Worte, die der Dritte nicht verstehen soll. An diesem Platz holen sich einige Freunde immer wieder Mut für Tage, vielleicht auch für Wochen, Ereignisse der Zeit mit dem Ausblick für die Zukunft werden hier besprochen. Und da dieser
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