Mit zunehmender Grausamkeit an den Häftlingen steigern sich die Fluchtversuche aus dieser Hölle. Es kommen Fälle vor, daß Häft­linge vor dem Einrücken ins Lager auf dichte Fichten klettern, um dann bei Eintritt der Nacht zu flüchten. In einem anderen Fall hat­ten sich in einem Neubau zwei Häftlinge eingemauert, um nach Tagen, als die äußere Postenkette eingezogen war, das Weite zu suchen. Sie wurden ergriffen und mußten sterben, nachdem sie vor­her hinreichend zur Schau gestellt worden waren.

Ein anderer wieder ergriffener Flüchtling wurde auf Anweisung des Lagerkommandanten Koch in einen Lattenverschlag gesteckt, wel­cher vorher innen mit Stacheldraht ausgeschlagen wurde. Dieser Lat­tenverschlag war in seinem Ausmaß so gehalten, daß der Häftling weder stehen noch liegen konnte. Zwei Tage und zwei Nächte blieb er in diesem Foltergerät im Freien stehen. Dann wurde er nicht mehr gesehen.

Der Monat September bringt erheblichen Zuwachs. 2500 jüdische Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau sind ,, eingetrudelt". Unter ihnen befinden sich Leute mit bekannten Namen, u. a. der Reichstagsabgeordnete Heilmann. Sie sind zum Teil schon jahrelang in Konzentrationslagern und somit an das Lagerleben gewöhnt. Uns wird verboten, mit ihnen zu sprechen.

Mit diesen Dachauern trifft auch ein Hauptscharführer Blank ein, von dem die jüdischen Häftlinge berichten, daß er in Dachau die Arrestangelegenheiten zu verwalten hatte. Ueber seine Person wird weiter gesagt, daß er bei dem Röhmputsch umfangreich Henkerarbeit verrichtet hat. Die jüdischen Häftlinge aus Dachau sehen körperlich verhältnismäßig gut aus. Sie kommen aus der ,, Wüste", in der alles Schwächliche restlos auf der Strecke blieb.

Buchenwald wächst. Zahlreiche SS - Kasernen entstehen. Die Massen arbeiten. Ihre entkräfteten Körper brechen zusammen, der Sensen­mann hält reiche Ernte. Im Gefüge des großen Bau- Projektes ent­steht außerhalb des Lagers ein prunkvolles Wirtschaftsgebäude, in welchem Lagerleitung und SS ihre Kameradschaftsabende und ihre Festlichkeiten veranstalten. Messerstechereien unter der SS sind dabei an der Tagesordnung.

Im Lager selbst wächst das Elend, die Zahl der Toten nimmt ständig zu. Seit kurzer Zeit ist morgens das erste Kommando, welches durch die Lautsprecher in den Baracken ertönt: ,, Leichenträger ans Tor." Einen weiteren Zuwachs im Monat September erhält Buchenwald durch einen Transport von etwa 200 jüdischen Aerzten und Journa­listen aus Wien . Sie kommen, arbeiten, hungern, frieren und sterben in großer Zahl, unter ihnen der bekannte Filmschauspieler Morgan. Der November 1938 hat begonnen. Wir hören eine Nachricht, welche die jüdischen Häftlinge beunruhigen muß. In Paris ist der deutsche Gesandtschaftsangestellte Rath von einem Juden erschossen worden.

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