Draußen steigen die neuen Bauten der SS aus der Erde. Im Lager bekommen die Schlammwege zwischen den Baracken sowie der Appellplatz Packlage und Schotter, der Schlamm wird allmählich eingedämmt. Im Lager am Ende des abfallenden Geländes entstehen ein Schafstall, ein Pferdestall, anschließend ein Reitplatz für die feu­dale Lagerleitung. In der Nähe des Lagereinganges wird ein kost­spieliger Bärenzwinger und draußen mit vielem Aufwand ein Falken­hof errichtet. Nimmt man hinzu, daß für den Lagerkommandanten Koch ein Prunkgebäude errichtet wird, zu der er fast die zehnfache Summe aufwenden läßt als im Bauplan vorgesehen ist, so sieht man, daß Nazitum in Wirklichkeit Feudalismus bedeutet, den Weg, den diese Götter beschritten haben und ihn auch bis zu Ende zu gehen beabsichtigen. Feudalismus und Göttertum bedingen Rechtlosigkeit und Sklaverei, denn nur der Unterschied zwischen Macht und Macht­losigkeit schafft das Göttertum auf der einen und Sklaverei auf der anderen Seite.

Ich nannte schon einige Male den Namen des Lagerkommandanten Koch. Wo er zu sehen ist, fällt weniger seine Person als seine Auf­machung ins Auge. Nicht groß, sehr eitel, alles Positur, ein kleiner Cäsar, ein großer Nero, Herr und Gebieter über Leben und Tod. Auf seinem Schreibtisch steht ein Menschenschädel. Man sagt im Lager, es sei der Totenschädel von Oskar Fischer aus Hamburg . Das Beispiel des Lagerkommandanten hat Schule gemacht. Auch der Zahl­meister des Lagers, der Sturmführer Driemel, ziert seinen Schreib­tisch mit einem Totenschädel.

Im Lager unterhält Koch einen Pferdestall mit angrenzender Reit­bahn, ein großes Holzbauwerk, in dem an die hundert Schweine ge­halten werden. Etwa 40 dieser Tiere sind Eigentum des Komman­danten. Ein weiteres Gebäude ist der Schafstall. Auf der Reitbahn versuchen Koch und andere die Positur ihrer Gottähnlichkeit zu ver­vollkommnen. Oft werden Pferde zum Lagertor geführt, Koch und seine rothaarige Madonna reiten. Hinter ihnen ein Häftling eben­falls zu Pferde, das Bild der Macht, Göttertum, Feudalismus äl­tester Zeit.

Es ist Juni 1938. Das Lager füllt sich immer mehr mit Häftlingen. Massen kommen, arbeiten, hungern, sterben. Die Arbeitskommandos passieren wankend in Marschkolonnen das Tor. SS exkortiert. Die Häftlinge sind vollkommene Sklaven. Wenn befohlen wird zu singen, singen sie. Ihre Lieder füllt Sehnsucht, Hoffnung und Glaube. Es ist die Freiheit, die ihnen als Höchstes vorschwebt, Freiheit, die Wahr­heit und Recht in sich birgt. Und nur die Hoffnung hält sie aufrecht. Sie singen:

Die Nacht ist kurz und der Tag so lang, Und ein Lied erklingt, das die Heimat sang. Wir lassen den Mut uns nicht rauben!

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