Jetzt beginnt für das Lager eine Schreckenszeit. Sonntags gibt es nichts zu essen. Bei den Arbeitskommandos tobt die SS und nimmt jede Gelegenheit wahr, einen Vorwand zu bekommen, zu mißhandeln und zu morden. Schon nach einigen Tagen rühmen sich unsere Peiniger, 70 Häftlinge umgebracht zu haben, um ihren inzwischen im Krankenhaus in Weimar verstorbenen SS - Kameraden Kalweit zu rächen. Und ihr blutdürstiges Toben geht weiter. Bisher noch nicht mit Mord belastete SS - Leute werden Mörder, diejenigen, welche nur einzelne Morde auf dem Gewissen haben, wachsen in die große Form der Massenmörder. Es geht in die Zahl der Hunderte, die als arme unglückliche Opfer auf Konto dieses Vorfalles umgebracht wurden. Wenn man das irrsinnige Toben der SS, das sadistische und grausame Verbrechen an den armen ausgehungerten Menschen sieht, könnte man glauben, daß es keine Menschheit und keine Gesetzmäßigkeit mehr auf diesem Erdball gibt. Das fluchwürdige Toben der SS, das Märtyrertum der Opfer ist das Gepräge, das alles beherrscht. Die Häftlinge des Kommandos Kläranlage müssen abends beim Einrücken große Baumstämme kilometerweit mit nach dem Lager schleppen, indem sie die schweren Stämme links und rechts auf den Schultern tragen. Begleitende Bestien der SS schlagen, treten und stoßen mit Karabinerkolben und Mündungen. In der Nähe des Stacheldrahtzaunes verbleibende Häftlinge müssen sich bücken oder nach der anderen Seite schauen, um nicht Gefahr zu laufen, etwas gesehen zu haben. Ich sah, wie ein mir bekannter junger Häftling, der nicht mehr tragen konnte, mit der Laufmündung des Karabiners niedergestoßen wurde. Er blieb liegen, wurde dann ins Lager gebracht und war nach einigen Stunden tot.
Ueber den Vorfall der Erschlagung des Rottenführers Kalweit erfahren wir, daß es sich um die Häftlinge Bargatzki und Forster handelt, die beide flüchtig sind.
Der Monat Mai geht zu Ende. Inzwischen ist eine neue Art von Häftlingen durch eine Aktion im Reichsmaßstab nach Buchenwald gekommen. Man nennt sie die Arbeitsscheuen. Es ist uns verboten, mit ihnen zu sprechen. Meistens sind es Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, denen man hier im Lager das Arbeiten lernen will. Sie bekommen schwarze Markierung. Da angeblich- keine Unterkleidung und keine Strümpfe auf der Häftlingskammer vorhanden sind, bekommen sie zunächst nur aus Kunststoff hergestellte dünne einheitliche graue Kleidung. Es ist regnerisches Wetter. Sie müssen gleich uns auch im Regenwetter auf die Arbeitsplätze unter freiem Himmel. Sie sind naß bis auf die Haut, frieren und hungern. Die tägliche Sterbezahl im Lager nimmt rapid zu. Hungern bei schwerer körperlicher Arbeit gehört zu den Erziehungsmethoden. Es ist ja auch bekannt, daß der sadistische Verbrecher Hermann Göring in einem Ausspruch die Worte fand: ,, Der politische Häftling soll sich eines
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