Kurz vor Weihnachten trat im Lager das Gerücht auf, daß ein großer Teil der Häftlinge entlassen werden würde. Wir sollten es bald erleben, was man uns in Wirklichkeit für eine Weihnachtsüberraschung zugedacht hatte.

Anfang der Weihnachtswoche zimmerten Häftlinge am Tor einen Galgen zusammen, und bald wußte das ganze Lager, für wen dieser Galgen aufgebaut war. Wie ich schon erwähnte, war im Mai ein Posten von zwei Häftlingen erschlagen worden. Während der eine in Thüringen schon nach wenigen Tagen ge- faßt wurde, war es dem anderen gelungen, über die Grenze nach der Tschechoslowakei zu entkommen. Nachdem der erste Häftling am Galgen sein Leben ausgehaucht hatte, ließ man ihn lange Zeit stehen, um auch den anderen flüchtigen Missetäter darauf zu richten. Erst als die Lagerleitung erfahren hatte, daß dieser sich im Auslande befände, wurde der Galgen wieder ab- gebaut. Der Geflüchtete fühlte sich in der Tschechoslowakei sicher und hielt im Rundfunk Reden gegen die Nazibarbarei. Mit seiner Freiheit währte es jedoch nicht lange, denn nach der Angliederung des Sudetenlandes wurde er auf deutschen Druck hin von den Hacha -Behörden festgenommen und den Nazis ausgeliefert. Man brachte den Unglücklichen nach Weimar , wo ihn nach einer kurzen Sitzung ein Sondergericht wegen Mordes, Hoch- und Landesverrats zum Tode verurteilte. Der Todeskandidat wurde noch am gleichen Tage, es war der 21. De- zember 1938, in den Mittagsstunden nach Buchenwald geschafft, von wo er vor einem halben Jahre ausgerissen war. Bis zur Hinrichtung wurde er in einer Folterzelle untergebracht. Die Hin- richtung fand erst gegen 8 Uhr abends statt. Bis dahin wurde der Todeskandidat durch die Schergen und den Lagerführer miß- handelt. Der Letztere hätte es nämlich gerne gesehen, wenn der Delinguent bei der Hinrichtung irgendetwas gesagt oder ge- schrien hätte. Er hoffte, daß dann unter den angetretenen Lager- insassen ein Tumult entstehen würde, der ihm das formale Recht gegeben hätte, mit Maschinengewehren in die Häftlingsmassen hineinzuschießen. Aber er hatte sich getäuscht, denn diese Ab-