die Gefahr, daß wir langsam einer nach dem anderen über den Rost gehen würden.

Im Februar 1938 gelang es uns endlich, einen bewährten Antifaschisten an die Spitze dieses Kommandos zu bringen. Er konnte natürlich nicht offensicht­lich die Anordnungen der SS sabotieren. Aber es war sofort zu spüren, daß die SS mit den Häftlingen nicht mehr machen konnte, was sie wollte. Sollte irgendeiner der dort beschäftigten Kameraden von seinem Arbeitsplatz weg­geholt und an schwerer Arbeitsstelle zu Tode geschunden werden, so trat der neue Capo dazwischen und erklärte, diesen Facharbeiter müsse er hier­behalten. Wurde ein anderer Kamerad strafweise in den Steinbruch ge­schickt, um dort besonders geschliffen zu werden, so dauerte es nicht lange, bis dieser Mann aus den Augen der SS unter der Masse verschwand oder gar im Lager zurückblieb als Kranker. Auf diese Weise konnte vielen das Leben gerettet werden, die ohne Mithilfe der antifaschistischen Vorarbeiter und Capos bestimmt zugrundegegangen wären.

Die kriminellen Häftlinge merkten schließlich, daß wir ziemlich aktiv waren und bangten um ihre Positionen. Der Lager älteste Richter, Berufsver­brecher, ehemaliger SA- Führer, hatte einen Kreis verdorbener BVer um sich. Auf Anordnung des Lagerkommandanten besorgte er mit dieser Gilde Spitzel­dienste für die Lagerführung. Richter denunzierte kommunistische Funktio­näre, sie würden eine Geheimorganisation im Lager unterhalten und Unruhe stiften. Beweise dafür hatte er keine. Der Kommandant schickte sofort ver­schiedene Kommunisten, darunter die Reichstagsabgeordneten Dr. Theo Neu­bauer, Walter Stöcker, den preußischen Landtagsabgeordneten Paul Woit­kowski, den Stadtverordneten Viktor Drewnicki u, a. in den Steinbruch. Erst nach Monaten, nachdem der Lagerführer Weiseborn in ein anderes KZ ver­setzt worden war, gelang es uns, diese schwer geschundenen Kameraden aus dem Steinbruch in ein anderes Arbeitskommando herauszuretten.

Im März 1938 wurde im ganzen Deutschen Reiche eine Menschenjagd ver­anstaltet. Die SS nannte dies ,, Reichsaktion gegen arbeitsscheue Elemente". Unsere Lagerbelegschaft stieg in diesen Wochen gewaltig an. Wochenlang luden die Schubautos Hunderte von neuen Opfern des Faschismus auf dem Ettersberg aus. Viele waren schon verwundet von den Schlägen der Wei­marer Polizei. Es mögen etwa 8000 bis 10 000 sogenannte Arbeitsscheue einge­liefert worden sein. Sie wurden sofort den schwersten Arbeiten zugeteilt. Nun setzte sofort unsere antifaschistische Arbeit unter diesen neuen Kameraden ein. Jeder von uns erhielt den Auftrag, drei dieser Neuzugänge, die direkt aus der sogenannten Freiheit kamen, über die Lage in Deutschland auszufragen. Dadurch erfuhren wir allerhand über die Stimmung der Bevölkerung. Jeder hatte die Nazis satt, doch wagten nur wenige, sich dagegen aufzulehnen.

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