DER PROZESS

wie täglich das Licht gelöscht wird, läßt das Gefühl der Ausgeglichenheit mich ruhig und fest einschlafen. Schon der nächste Morgen zerstört die mir gestern bescherte innere Ruhe vollständig. Ich erwache um 6 Uhr, als wieder ein Gefangener in die Todeszelle gebracht wird. Aber ich horche dieses Mal nicht hin, ich will nichts hören und registriere trotzdem den furcht- baren Ablauf des Dramas, das sich dort abspielt, muß es gegen meinen Willen tun, da meine Nerven es nicht anders können. Ich höre die trockene Stimme des Kriegsgerichtsrates, der das Urteil verliest, höre, wie der Gefangene dauernd Einwendungen macht, dazwischen redet und zur Ruhe ermahnt wird. Ich höre, wie der Pfarrer kommt; aber kaum wird die Zellentür geöffnet, als der Gefangene losbrüllt:Raus, ich will keinen Pfarrer sehen, es sind alles Betrüger und Schufte, von Hitler angefangen. Ihr wollt mich ermorden, weil ich nicht euer Sklave sein will. Schießt mich doch gleich tot hier, schlagt mich doch tot.

Der Pfarrer versucht immer wieder, ihm gütig zuzu- sprechen. Es ist vergeblich. Die Tür schließt sich, und die nächste Stunde tobt der Verurteilte wie ein Rasender in seiner Zelle, schreit und weint. Ich zähle die Minuten, sie werden zu Stunden. Kann dieses Furchtbare nicht abgekürzt werden?- Endlich kommt das Abholkom- mando. Aber der Gefangene ist von Sinnen. Als die Tür geöffnet wird, springt er auf den nächststehenden Wächter zu. Ein Tumult entsteht. Ich höre wie gelähmt den keuchenden Atem der Männer. Eine kalte Stimme

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