DER PROZESS

Wand steht, stellt ein silbernes Kruzifix darauf und zündet zwei Kerzen an, welche matte, glitzernde Reflexe auf dem Kreuze des Erlösers hervorrufen. Da betritt der Pfarrer den Raum. Er trägt die gleiche schlichte Uniform ohne Abzeichen. Es wird totenstill im Saal, während er durch die Reihen der Gefangenen geht und die Wachen an die Ausgänge zurücktreten.

Guten Morgen, Kameraden, begrüßt er die Versammel- ten. Er sagt ein Lied an, der Gehilfe des Pfarrers bläst auf einer kleinen Trompete die Melodie vor. Dann stimmt er mit kraftvoller, wohlklingender Stimme das Lied an, das die Gefangenen ohne stärkere Anteilnahme mit- singen. Und dann spricht er zu uns. Er hat ein Christus- wort über den Frieden gewählt. Er spricht zu uns Menschen in Ketten, deren Gedanken verzagt sich beugen unter ein unabänderliches und unverständliches Geschick, oder deren Gedanken Zorn und Rache sind, die nichts mit Gott zu tun haben. Wieder andere haben trotz Unerschrockenheit und Tapferkeit, die sie hundertfach im Felde bewiesen haben, Gefühle der Angst vor dem unerbittlichen Geschick, das sich ihnen drohend nähert, Gefühle, die sie überwältigen wollen. Und ın die Dunkel- heit dieses Schicksals, dieses Lebens im Gefängnis läßt er den Heiland treten mit dem Wort:In mir habt ihr Frieden, in der Welt habt ihr Angst. Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Er spricht zu uns von der Macht und Herrschaft Gottes, vor der wir Menschen klein sind. Er schildert ein Bild, das er einst geschaut. Ein müder Wanderer sitzt in sich

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