Würde ja auch draußen, was ich etwa Fruchtbares leisten könnte, nicht mein menschliches Werk sein; auch hier in der Abtrennung blieb mir das Wichtigste zu tun anvertraut: die Hände zu falten zum Gebet, zur Fürbitte. Heute weiß ich es: ein halbes Jahr unverhinderten Ge- spräches mit dem lieben Gott, manchmal auch mit dem Teufel, ist mir in der Zelle beschert worden.
Das erste Vierteljahr der Einzelhaft war vorüber. Es war November. Eine nicht ganz freiwillige besondere Fastenzeit der letzten Wochen hatte mich an die voradventlichen Fasten der alten Kirche erinnert. Nun war es Sonnabend vor dem ersten Advent. Um Mittag war Fliegeralarm gewesen; es war das Jahr 1943. Ich hatte deshalb meine paar Habseligkeiten rasch zusammengepackt, auch das feuerrote Weinblatt, das ein Glied der Heimatgemeinde mir in die Zelle gesandt hatte als ein wortloses Zeichen unantastbarer Gemeinschaft(„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“; Joh. 15), und das der Zen- sur übende Kommissar wahrscheinlich kopfschüttelnd mit dem Ver- merk„Unbedenklich“ auf dem Umschlag hatte passieren lassen. Die ganze Gefängniszeit hindurch hat das edelgeformte Blatt mit der warmen Farbe der Liebe mich täglich erquickt.’ Nun stand ich, bis
‘auf die Knochen frierend, zitternd, hungrig in dem seines letzten kleinen Schmuckes beraubten Raum, an dessen leicht schimmelnden Wänden die Wassertropfen herunterliefen. Die angekündigten frem- den Flugzeuge ließen auf sich warten. So nahm ich meine Bibel wieder heraus, die ich auf meine Bitte im Gefängnis noch haben durfte. Bei dem, stets über mir schwebenden, Übergang ins KZ, so ahnte ich, würde sie mir mit meiner letzten kleinen Habe genommen werden. Ich wußte, mir stand heute noch ein schwererer Kampf bevor als der mit Ein- samkeit, Hunger und Kälte, der Kampf mit dem Bibelwort. Rüsten wollte ich mich auf das Fest der Ankunft des lebendigen Herrn, von dem die Schrift sagt, daß er unsichtbar uns gegenwärtig sei und einst sichtbar wiederkommen werde zu uns als der Herr über Himmel und Erde. Die Auferstehungsberichte, das Geschehen von Ostern wollte ich lesen und an ihnen mich prüfen, ob ich Ja sagen dürfe dazu, daß Jesus Christus , der Lebendige, auch uns in den Zellen und im KZ der Gegenwärtige, auch heute noch der über die verfinsterte Erde Wan- delnde sei.
Aber der andere begann nun das Gespräch. Ich hatte mich auf meine
Pritsche gesetzt, die mit dem Schemel das M obiliar meiner Klause aus- machte, und las. Doch dicht wie die graue Wolkenwand draußen, so
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