Die amerikanische, englische und polnische Flagge rahmten das ganze Bild ein. Am 3. Mai fand ein feierlicher Gottesdienst für die Toten des Lagers statt. Es zelebrierte Pfarrer Verenik-Lublin, es assistierte Pfarrer Korcinski, als Diakon Pfarrer Corcz, als Subdiakon Pfarrer Czaplinski. Die Predigt hielt Pfarrer Haudza. Dieser Gottesdienst war leider nur für die Polen be- stimmt. Andere hatte man nicht dazu eingeladen. Es ereignete sich ein Zwischenfall, der sehr bedauerlich war. Während der hl. Messe hielt plötzlich ein französischer General zu den in der Nähe versammelten Franzosen eine Ansprache und störte durch seine laute Stimme den Gottesdienst. Nachher hat er sich entschuldigt.

Besonders rührig sorgten die Holländer für ihre Kameraden. In der von ihnen herausgegebenen Zeitung teilten sie u. a. mit, daß täglich katholischer Gottesdienst sei. Auch sei Gelegenheit zur Beichte und zum Kommunion- empfang in der Kapelle auf Block 26. Sonntags um 5 Uhr nachmittags sei evangelischer Gottesdienst.

Ein Ereignis, das das ganze Lager in Aufregung brachte, war die Fest- nahme des Hauptscharführers Böttger, der bis zuletzt Rapportführer ge- wesen war ünd uns sehr gequält hatte. Das Leben vieler Häftlinge hatte er auf dem Gewissen. Brutal und roh hatte er uns behandelt. Das Hasenstall- kommando holte außerhalb des Lagers Heu. Auf der Straße von Dachau kam ihnen ein Mann in Häftlingskleidung auf dem Rad entgegen. Einige erkannten sofort in diesem Häftling den Böttger. Sofort umringten sie ihn und nahmen ihn gefangen. Sie brachten ihn ins Lager und übergaben ihn den Amerikanern. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der Festnahme des Böttger im ganzen Lager. Alle Häftlinge versammelten sich vor dem Jourhaus. Aus 30 000 Kehlen erscholl der Ruf:Gebt uns den Kerl heraus. Wir wollen ihn richten. Der Amerikaner aber gab den Befehl:Auf die Blocks zurück! Alle traten nun auf ihren Blockstraßen an und marschieren geschlossen zum Appellplatz. Hier aber lösten sie sich auf und umstanden das Jourhaus. In- zwischen hatte man den Böttger oben auf die Empore des Jourhauses gestellt, weithin sichtbar. Hier mußte er zuerst einmal‚Mütze auf, Mütze ab machen, genau wie er es von uns verlangt hatte. Dann zwang man ihn folgendes zu sagen, und zwar mit lauter Stimme, die jedoch sehr rauh klang:Ich bin ein großes Nazischwein. Ich habe viele hundert Häftlinge getötet. Ich habe 92 russische Offiziere. erschossen. Ich bin nicht wert, weiterzuleben. Heil Hitler! Heil, mein Führer! Heil, mein Führer! Heil, mein Führer! Eine ungeheure Aufregung bemächtigte sich der Lagerinsassen. Aus den Reihen der Häftlinge erklang der Ruf:Werft uns den Kerl herunter! Wir wollen ihn richten! Nachdem aber auf Befehl der Amerikaner die Versammelten wieder zu den Blocks zurückgegangen waren, führte man Böttger zum Gefängnis ab. Am anderen Tage wurde er vernommen. Er sollte Aussagen machen über alles, was er wußte. In der Folgezeit mußte er im Krematorium Leichen schleppen. Später wurde mitgeteilt, er sei in Augsburg gehängt worden. Böttger war Juwelenhändler in München , aber erst seit 1933. Man erzählte, er habe sich die Juwelen der Juden angeeignet und damit ein einträgliches Geschäft ge- "gründet. In einem Brief, den er am 25; August 1940 von Berlin erhielt,

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