Stimmung. Trotz Lagerpolizei fürchteten wir eine vollkommene Anarchie. Wehe, wenn die Massen in Bewegung kamen! Hunger kennt keine Schranken. Unsere Gedanken waren in diesen Stunden stets: Gott bewahre uns vor dem Schlimmsten! Hoffentlich ist bald alles zu Ende. Ein dumpfer Druck lag über dem ganzen Lager. Keiner von uns wußte, wie dies enden würde.

Am Sonntag, dem 29. April, kam morgens um 6 Uhr Dr. Blaha, ein Häftlingsarzt, und verkündete den noch schlafenden Kameraden die freudige Nachricht, daß auf dem Kommandanturgebäude die weiße Flagge gehißt sei. Die Freude war sehr groß. Wir warteten auf die weitere Entwicklung, ohne zu wissen, in welcher Gefahr wir gerade an diesem Sonntag noch schwebten. Die SS -Führer waren spurlos verschwunden. Anwesend waren nur noch die alten SS -Leute, die vor einem halben Jahre aus ihrem Militärdienst in die SS-Uniform gezwungen worden waren.;

Die Befreiung des Lagers

Schon am Morgen des 29. April hörten wir näherkommenden Kanonen- donner, dann Maschinengewehrfeuer. Unsere Kameraden stiegen auf die Dächer der Baracken und sahen die von ferne heranrollenden amerikanischen Panzer- wagen. Die Spannung war aufs höchste gestiegen, als gegen Mittag amerika- nische Truppen in der Plantage näherrückten. Auf den einzelnen Wachtürmen wurden dann plötzlich weiße Fahnen gehißt. Um 5.15 Uhr nachmittags betrat der erste Amerikaner das Lager. Es war ein Jude aus Köln mit Namen Peter Post. Nach ihm kam eine amerikanische Journalistin. Dann kam ein Soldat und nach ihm zwei Panzerwagen. Alle Häftlinge stürmten zum Appellplatz und empfingen die Soldaten mit lautem Jubel. Die Begeisterung fand überhaupt keine Grenzen. Trotzdem wurde von dem Wachturm des Jourhauses durch die SS -Posten geschossen. Hierbei ist der Kapo der Schneider- baracke ins Herz getroffen worden. Er war sofort tot. Da schlug die Begei- sterung in Wut um. Die Amerikaner gaben den Häftlingen Revolver und Gewehre. Man besetzte die Wachtürme, und wer als SS-Mann angetroffen wurde und sich wehrte, wurde erschossen. 35 Leichen von SS -Leuten hatte man in den kleinen Fluß geworfen. Der Mensch kann zur Bestie werden,

wenn er von unversöhnlicher Rache erfüllt ist. Kaum eine Stunde nach

Besetzung des Lagers besuchte ein amerikanischer Soldat auch das Revier. Er Kranken beruhigende Worte, die Zeit der Qual sei nun vor-

sprach zu den Tief ergriffen hörten alle zu. Man sah in manchen

über, sie seien gerettet. wetterharten Gesichtern Tränen der Freude.

Die Bayrische Landeszeitung schilderte den historischen Augenblick der Befreiung folgendermaßen:Die Männer des 157. amerikanischen Infan- terieregiments betraten das Lager von rückwärts in der Nähe des Krema- toriums. Sie stürzten nach den SS -Baracken und töteten die sich wehrenden SS-Truppen, wo immer diese sich zeigten. ‚Ich sah nie die Leute in einer solchen Stimmung, sagte ein Leutnant später. ‚Die Männer waren wutent- brannt. Sie liefen die Lagerstraße entlang ohne Rücksicht auf Deckung. Keiner

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