Aus einem Kassiber:
Untersuchungsgefängnis Moabit, 15.7.43.
,, Ich habe hier endlich eine saubere, helle Zelle und fühle mich wohl. Ich habe heute morgen 96 Knöpfe an Militärhosen genäht und dazu unsere ganzen Lieder gepfiffen. Von der Welt draußen sehe ich nur Wolken und höre Schwalbengeschrei hier oben im vierten Stock und das Fahren von Straßenbahnen irgendwo. Und da draußen läuft nun irgendwo meine Frau, so allein und so tapfer, ich bin stolz auf dich. Du wirst es schon schaffen, wie? Bald bin ich ein Jahr in Einzelhaft, und jeder Tag ist lang und nicht leicht gewesen. Aber jetzt, nachdem ich nicht mehr in der Finsternis lebe, sondern Licht habe, lebe ich wieder auf und habe dauernd Musik im Kopf. Licht ist so wichtig, das glaubt man nicht. Mein neuestes Vergnügen ist, das Adagio aus der 5. Symphonie mir vorzustellen und dazu auf dem Zellentisch Klavier zu spielen oder die G- moll- Fuge oder die herrliche Mondscheinsonate, die ich alle etwas auswendig kann. Das treib ich seit einigen Wochen, oder ich gehe von acht bis zehn auf und ab, nehme mir ein Thema zum Denken vor und weiche nicht ab davon. Wenn man ins. Denken gerät, gibt es kein Ende."
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