ziehen. Eine Weile nur, und es erwacht wieder das Kind im neugeborenen Menschen. Alles ist auf ein­mal jung und schön, es wird die Weltgeschichte wie­der bewegt vom Atem Gottes, und die große Freude ist wiedergekehrt."

9. Mai 1945

ICH LIEGE IN einem herrlichen, weichen Bett. Weiß­bezogen. Ich befühle meinen Leib, die Stirn, den Mund, selig wie mit Himmelshänden. Ich bin noch da! Es ist Mai, aber mein Herz ist zeitlos geworden und in meinem Antlitz trage ich die Gesichter der Toten, die ich nicht vergessen kann. Fern schon scheinen die vergangenen Tage, die Tage des Hun­gers, der Mißhandlungen und Erniedrigungen. Aber es waren Tage eines greifbaren, wirklichen, grausamen Lebens Tage, die nach Schweiß, Staub und Blut rochen. Wie oft standen wir auf der Grenze zwischen Leben und Tod. Unser Dasein bis zu diesem Tage war ein einziger Marsch durch eine Wüste der Verlassen­heit.

-

Ich muß die Augen schließen, ich träume durch die Stunden. Dann sehe ich den schaurigen Totentanz eurer gemordeten Leiber, ihr armen Schicksalsgenossen. Ihr faẞt euch an den Händen, bewegt euch im Kreise... ihr singt eine ferne, fremde Melodie. Es sind Klänge aus einer neuen Zukunft, für die ihr gestorben seid.

178