Fünfzehn Uhr zehn! Die„grüne Minna“ stoppt nach anderthalbstündiger Fahrt vor einem grauen Gebäude. Gepreßt wie Heringe im Salzfaß, mit eingeschlafenen, prickelnden Gliedern, bange Furcht im Herzen waren wir im„Seufzerkasten” auf Umwegen über Char-
Noch im Geknirsch der Bremsen werden gröhlende Stimmen laut: ‚Los, los, marsch, marsch! Wo bleibt
die Schweinebande? Gleich geht's rund.”
Sechs feldgraue, martialische Kerle, mit Totenkopf- emblemen an Mütze und Uniform, stoßen und puffen uns abgemagerte Elendsgestalten in Reih und Glied. Verstohlen mustern die Augen Menschen und Mauern. Alles grau in grau. Die Stacheldrahtreiter auf den Mauern tragen frostglitzernde weiße Hauben. Uber der gähnenden Einfahrt des unheimlichen grauen Hauses steht in dicken, schwarzen Lettern„Schutz- haftlager Sachsenhausen”. Weiße Buchstaben im Eisen- tor künden: ‚Arbeit macht frei”. Hinter uns flüstert
jemand:„Ja, im Krematorium drei.”
Die Inschrift von Dantes Inferno kommt mir in. den Sinn: Lasciate ogni speranza, voi ch’ entrate! Ihr, die
ihr.eintretet, lasset alle Hoffnung fahren!
Wir durchschreiten den Torgang. Von rechts tönt höhnisches Gelächter aus der Blockführerstube. Offen- sichtlich gilt es uns. Rektor Rooyackers trägt die lang- rockige Priesterkleidung seiner Heimatdiözese.„Ha... ha...ha.,. Pfaffen. Ein gefundenes Fressen für üns.” Drei wüste, schwerbewaffnete SS -Männer jagen uns über den weiträumigen Appellplatz zwischen Holz-
baracken hindurch zur„Entlausung”.
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