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zu Hause Kuchen bekommen hatte, so saß er bestimmt bald bei dem Be- treffenden und ließ sich mit der größten Leidenschaft zu der Süßigkeit einladen, die er mit Wohlbehagen kaute. Wenn abends unsere Tür vor ihm aufflog und er mit jungenhafter Plötzlichkeit hereinstürmte, schrie er meistens zuerst:Habt Ihr heute keine Torte?', um sodann in seinen Erzählungen zu den weiterenSüßigkeiten seines Lebens überzugehen. Derselbe Mann, der als Kuchenfreund und Don Juan so harmlos sein konnte, brachte es aber auch fertig, eines Nachts einen Arbeitshäftling, der in die Arrestzelle gebracht werden sollte und verschlafen und kraft- los wie er war, ihm nicht schnell genug ging, derart mit seinem Reit- stiefel zu treten, daß der Arme kopfüber in die dunkle Zelle hinein- stürzte,

Unser Wachtmeister hatte vor nichts Angst, außer vor dem Tode. Vor dem Ende seines bisher ja nicht gerade mit Guttaten verbrachten Lebens hatte er im stillen eine gehörige Portion Furcht, die deutlich zum Aus- druck kam, wenn er immer wieder den Franz-Moor-Standpunkt vertrat, daß das menschliche Leben eben mit dem Tode völlig zu Ende sei und es ein weiteres Dasein nicht gäbe, so daß auch keine Jenseitsstrafe für diesseitige Sünden bestehen könne, Als er ständig auf dieses ihn ganz offenbar sehr beschäftigende Thema zurückkam, sagte ihm einmal einer unserer Stubeninsassen:Darüber, was nach dem Tode sein wird, müssen Sie, wenn Sie das so interessiert, den Doktor fragen, der ist so ein Philosoph und weiß darüber sicher Bescheid. Darauf wendete er einen unruhigen Blick auf mich und fragte mich nach meiner Meinung, Mich wandelte in diesem Augenblick die Lust an, den furchtsamen Wüstling mitSchopenhauerschen Gedankengängen zu erschrecken und ich sagte ihm, zugrunde gehen könne in Wahrheit in der Welt überhaupt gar nichts; es sei zum Beispiel denkbar, daß er nach seinem Tode eben da hinkommen werde, wo er vor seiner Geburt gewesen sei, nur daß er da- von ebensowenig wissen werde, wie er jetzt noch davon wisse, wo er sich denn vor seiner Geburt oder richtiger vor seiner Erzeugung be- funden habe; vorstellbar sei infolgedessen auch, daß es ihm in einem künftigen Leben wegen Verfehlungen, die er möglicherweise in seinem jetzigen Dasein auf sich geladen habe, einmal sehr schlecht gehen könne, ohne daß er dann noch wüßte, warum, und nicht anders könne es ihm auf seinem gegenwärtigen Erdenwege besonders gut gehen, weil er in einer früheren Daseinsform preiswürdige Taten vollbracht habe, an die er sich jetzt nur nicht erinnere, da allerdings das menschliche Erinne- rungsvermögen, von ganz verschwindenden und unsicheren Ausnahmen abgesehen, die der alte Griechenweise Plato entdeckt haben wolle, mit dem Tode ende, womit aber eben keineswegs gesagt sei, daß auch die Existenz an sich ende, da hiergegen die offenbar ewige Dauer des ge- samten Weltalls spräche. Er sah mich, nachdem ich geendet, recht er- schrocken an und ist mir seitdem, wenn er irgend konnte, weit ausge- wichen, Was ich ihm dargelegt hatte, war ihm sicher unheimlich und jedenfalls nicht geheuer erschienen. Er rettete sich an dem betreffenden Abend alsbald wieder in groteske Witze und brachte es so weit, zu-

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