Am 10. Oktober trafen wir nach fünftägiger Fahrt in Weimar ein. Etwa dreißig Personen aus allen Teilen Europas und aus allen Altersschichten und Berufen, Franzosen, Belgier, Holländer, Polen , Tschechen usw. teilten mein Schicksal.;
Am Bahnhof bereits mußten wir feststellen, daß wir von schlagfertigen und rauflustigen SS -Leuten übernommen worden waren. Schon auf dem Bahnsteige hagelte es Ohrfeigen und Fußtritte. Auch ich bekam mein Teil ab.
Da die„Minna“, die uns nach Buchenwald bringen sollte, noch unterwegs war, wurden wir in einen Abstellraum geführt, wo uns der„erste Unter- richt“ über das Lagerleben in Buchenwald in der Form erteilt wurde, daß wir uns alle mit dem Gesicht zur Wand stellen mußten. SS inspizierte unsere Haltung und korrigierte sie mit Fußtritten oder mit einem kräftigen Stoß an den Hinterkopf, daß das Gesicht gegen die Mauer flog und Blut aus Stirn und Nase floß. Diese Prozedur wurde an jedem einzelnen durchgeführt.
Als sich später herausstellte, daß sich unter uns eine wissenschaftliche Autorität als Geißel aus Holland befand, die ebenfalls aus Mund und Nase blutete, war der SS-Mann über seine„Heldentat“ doch-sichtlich verlegen.
Bei diesen Prozeduren verwandten die SS -Männer einen Wortschatz, der nur aus einem SS-Lager-Wörterbuch stammen mußte. Ich kannte viele Wörter- bücher, diese Sprache aber war mir fremd.
Inzwischen mußten wir zur Abwechslung antreten. Die SS wußte natür- lich, daß das nicht klappen würde, da die meisten die deutsche Sprache nicht verstanden. Aber gerade an diesem Durcheinanderrennen hatte sie eine kindische Freude, denn sie hatte Anlaß, tüchtig dreinzuschlagen. Das war ihr das Wichtigste. Sie wiederholte dieses Spiel so lange, bis es klappte, d. h. bis die ausländischen Gefangenen die deutschen Wortlaute begriffen hatten.
Sie hätten sich wahrscheinlich noch weiter vergnügt, diese rohen gefühl- losen Burschen, wenn nicht die„Minna“ inzwischen vorgefahren wäre.
Andere SS -Leute traten auf den Plan, gut gepflegte stramme Kerls, mit finsteren, verwegenen Verbrechergesichtern. Gestapo, \hieß es, Sie suchten ihre Opfer nach einer Liste aus und fuhren mit ihnen in einem anderen Wagen davon. Ich war nicht unter den Ausgewählten.
Dann mußten die Uebriggebliebenen die„Minna“ besteigen. Es war wohl üblich, daß hierbei die SS den durch lange Gefängnis- oder Zuchthaushaft geschwächten Gefangenen behilflich war. Mit Fußtritten und Kolbenstößen fand jeder schnell einen Platz, und sei es auch auf dem Körper des anderen.
Wir waren untergebracht und fuhren ab nach— Buchenwald . Inzwischen waren die Gefangenen alle wieder auf den Beinen. Das war nur mit Hilfe der Starken möglich gewesen. In Kurven schwankten wir nur leise nach links oder nach rechts, so eng beieinander standen wir.
Niemand sprach ein Wort. In jedem Gesicht stand Angst und Entsetzen.
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