Buchenwald
m 5. Oktober ging es im Schubwagen nach Osten. Ueber Frankfurt,
A Kassel,
selbstverständlich nicht die Möglichkeit, einen Blick aus dem Fenster zu tun. Die vergitterten kleinen Fensterchen hatten sogenannte Scheuklappen, die bis zum Waggondach reichten und nur so viel Licht in den Raum ließen, daß man Tag und Nacht unterscheiden konnte.
Auf den mittleren und größeren Bahnhöfen kamen weitere Gefangene hinzu. Wenn wir irgendwo übernachten mußten, wurden wir durch Handfesseln aneinandergeschlossen. Ein großer Beamtenapparat stand draußen mit Hunden bereit, uns nach dem Polizeigefängnis zu bringen. Die schmutzigen und verlausten Unterkunftsräume waren als Durchgangsstationen gewöhnlich so überfüllt, daß niemand sich schlafen legen konnte.
In diesen Unterkunftsräumen erlebte man oft Wiedersehensfreude von geradezu tragischer Größe.
Ein Vater, schon jahrelang wegen Hochverrats im Zuchthaus eingesperrt und jetzt auf dem Wege ins Konzentrationslager Sachsenhausen, traf in Kassel seinen Sohn, den er im Felde wähnte, um für Hitlers „ Größe" und seine Wahnideen zu bluten, in schwarzer Zuchthauskleidung auf dem Wege ins Moor. Es war erschütternd, als diese beiden Menschen sich plötzlich erkannten und in einem Aufschrei aus. Entsetzen und wehmütiger Freude sich in den Armen lagen. Was hatte der Sohn in der schwarzen Zuchthauskleidung getan? Er war drei Tage über seinen vorgeschriebenen Urlaub geblieben...
Oder: ein Roter - Spanien - Kämpfer traf mit seinem Bruder, der fünfzehn Jahre bei der Fremdenlegion war, zusammen. Zwanzig Jahre hatten sich diese beiden Menschen nicht gesehen und erst durch den Namensaufruf wiedererkannt.
Auch ich traf in Frankfurt a. M. einen alten Bekannten, den ehemaligen kommunistischen Reichstagsabgeordneten Opitz aus Sachsen . Er hatte sieben Jahre im Zuchthaus gesessen und befand sich auf dem Wege ins Konzentrationslager Sachsenhausen.
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