Zunächst war ich in Ravensbrück unbeliebt. In den langen Jahren illegaler Arbeit hatte ich es verlernt, mich unmittelbar zu geben. Nicht, was ich wirklich dachte, sagte ich. Ich bemühte mich zunächst zu erfahren, was die anderen dachten, zu überlegen, was ich ihnen unter Berücksichtigung der Situation und ihrer Meinung zweckmäßigerweise sagen müßte und erst danach mich zu äußern. Diese Haltung war mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich wartete lange, sprach langsam und äußerte nicht übereinstimmende Meinungen, da ich meine Erklärungen ja meinem Gesprächspartner und nicht der eigenen Überzeugung anpaẞte. Diese Haltung machte mich verdächtig. Man hielt mich für einen Spitzel.

immer

Erst langsam lernte ich, daß man im Lager seine Meinung offener äußern konnte denn als ,, freier" Mensch in Deutschland . Dieses Langsam- wieder­die- eigene- Sprache- finden, war beglückend. Mir ging es, wie es einem Menschen gehen mag, dessen Bewegungsmöglichkeit durch eine Lähmung ge­hindert war und der allmählich seine Bewegungs­fähigkeit wieder gewinnt. Die Zunahme der Kraft und Funktionsfähigkeit seines Körpers erfüllt ihn mit einem Glück, das größer ist als der Kummer. darüber, daß er gleichzeitig sehr arm wurde und daß sein Leben nun mit vielen, ihm bisher unbe­kannten materiellen Verzichten verbunden ist, denn trotz dieser Verzichte wird sein Leben schöner und reicher, einfach deshalb, weil er sich mehr bewegen kann.

Diejenigen, die Deutschland in der Nazizeit nicht miterlebt haben, mögen die Furchtbarkeit des Druckes an meiner Feststellung ermessen, daß ich trotz allem im Konzentrationslager seelisch aufblühte, glücklicher wurde als ich es in Freiheit gewesen war.

-

73