zu übersteigen. Ich fühlte, wie meine Kräfte rasch

abnahmen.

Ich wollte überleben, weil ich mich für einen politisch wertvollen Menschen hielt. Ich wollte überleben, weil ich ein Mensch mit dem natür­lichen Willen zum Leben bin. Ich fühlte den Tod im Nacken. Trotzdem ich damals zu müde und zu traurig war, um das Leben zu lieben und zu be­gehren, habe ich wohl Angst gehabt. Ich war un­ruhig und gehetzt, wenn beim Appell Unordnung herrschte und Strafen zu befürchten waren. Ich war hastig und aufgeregt bei der Essenverteilung: ich könnte zu kurz kommen, fürchtete ich. Ich war ent­schlossen, alles zu tun, um meine materielle Lage zu verbessern. Ich war willens, mich vor Menschen zu demütigen, die Macht und Einfluß, die Ver­fügungsgewalt über Lebensmittel hatten. Ich war entschlossen, ihnen nach dem Munde zu reden und zu schmeicheln. Ich kämpfte um jeden Happen Essen.

Diese unwürdige Haltung erweckte bei den wert­vollen Häftlingen keine Sympathien. Und die von mir umschmeichelten Wertlosen spürten zu deutlich die Unehrlichkeit meiner Haltung, als daß ich ihr Herz und damit materiellen Vorteil gewinnen konnte. Widerwärtiger als durch Schmutz und eiternde Wunde wurde ich mir selbst durch diese unwürdige Haltung.

-

-

Diese mir scheint: bittersten Erfahrungen meiner Haftzeit wurden für meine Entwicklung wert­voll. Ich erkannte: Gefangenschaft, Strapazen, Hun­ger, Frost, Anstrengungen, all das läßt sich er­tragen. Unerträglich aber ist der Ekel vor sich selbst. Mit diesem Ekel kann man nicht leben. So beschloß ich entsprechend meiner Neigung-, mit Selbstachtung zu leben, mich vor niemand zu beugen, auch wenn ich dabei verhungern müßte.

72

-