Am letzten Tage vor Aufruf des Transportes kam Ilse zu mir: Drei politische Frauen könne sie noch austauschen. Wer von den auf der Liste Stehenden sei am wertvollsten? Es war ein grausiger Abend: wir gingen durch die Blocks, fragten, sondierten. Niemand durfte um den Grund unseres Besuches erfahren. Wir teilten Ilse unsere Meinung mit. Drei Todesurteile wurden aufgehoben. Drei andere Menschen wurden auf die Todesliste gesetzt.
Am anderen Morgen standen die 800 Frauen in Fünferreihen vor dem Bad. Wir marschierten an ihnen vorbei zur Arbeit. Unsere Blicke waren ihnen zugewandt. Schweigend marschierte die Kolonne. Die SS hatte ein schlechtes Gewissen. Aufseherinnen liefen an unseren Reihen entlang: ,, Sie sollen geradeaus sehen!" Ihre Stimmen überschlugen sich.
Vor meinen Augen tauchte eine Aufseherin auf: dickliches, rotes Gesicht, langes Lockengewirr. Ihr Mund war geöffnet. Hysterisch schrie sie uns an. Kochend heiß rann es mir durch die Adern. Ich sah ihr Gesicht, den aufgerissenen Mund. Ich sah ihre Kehle. Funken tanzten dazwischen. Und ich fühlte, wie meine Hände ihre Locken packten, wie meine Zähne sich in ihre Kehle eingruben, sie knirschend durchbissen.
Die Hand einer Kameradin legte sich in meine Hand ,,, Rita!" sagte sie leise.
Ich kam zu mir, ich hatte mich wieder in der Gewalt.
Wir marschierten durchs Tor.
Schweigend standen die Häftlinge vor ihren Arbeitsplätzen. Niemand sagte ein Wort. Niemand begann zu arbeiten.
Eine Vorarbeiterin kam auf uns Bürohäftlinge zu. Auf ihren Lippen schwebte die Frage: Warum
70
"


