Worten und langen Pausen. Ein Gespräch, in dem nichts Wesentliches gesagt wurde. Einmal flüsterte ich ihm zu, daß er versuchen sollte, mir Lebens­mittel zu schicken. Es sei eine Frage auf Leben und Tod.

Er sagte mir leise: ,, Unser Leben ist ein grau­samer, teuflischer Witz: dich, meine Frau, bringen sie hier im KZ um und- ich werde die Ehre haben, für sie, die Bande, den Heldentod zu sterben."

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Ich antwortete leise: ,, Mein Tod wird leichter sein als deiner. Wenn ich sterbe, so sterbe ich wenigstens auf der richtigen Seite!"

Er nickte.

Die halbe Stunde war um. Ich trat auf ihn zu, nahm seinen Kopf. Wir küßten uns. Es war ein seltsamer Kuß. Es war kein Kuß zwischen Mann und Frau. Es war ein Kuß zwischen zwei Menschen, die sich unendlich gut kannten und ganz vertrauten. Ich empfand diesen Abschied fast musikalisch: wie ein unendlich schönes, erfülltes Finale.

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Zusammen mit vielleicht zwanzig Frauen wartete ich auf den Rückmarsch ins Lager. Ich war die ein­zige, die Besuch gehabt hatte. Besuche gab es im KZ nicht. Ausnahmen wurden nur bei Wehrmachts­angehörigen gemacht. Zwei Polinnen hatten die Nachricht erhalten, daß ihre Männer im KZ ver­storben seien. Es waren ältere Frauen. Die eine weinte. Die andere starrte vor sich hin. Leise ging das Gespräch zwischen den Wartenden. Eine äußerte die Vermutung, daß es heute abend ,, süße Suppe" geben würde. Die Weinende unterbrach ihr Weinen: ,, Meint ihr wirklich?" fragte sie eifrig. ,, Unser Tisch hat heute Nachkelle!"

Erschüttert wandte ich mich zum Fenster. Draußen zogen die Arbeitskolonnen vorbei. Ja, der Hunger läßt die Menschen alles vergessen.

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