Einige Zeit später kam ich in eine noch schwie­rigere Situation: Im Betrieb arbeitete ein junger Mann aus dem Sudetengebiet. Wir waren rasch aufeinander aufmerksam geworden. Ich war über­zeugt, daß er politisch tätig sei. Wenn er zu mir kam und mich ausfragte, gab ich ihm daher bereit­willigst Auskunft, um seine Arbeit zu unterstützen. Ich war ihm gegenüber eine schwatzhafte" Vor­gesetzte.

Eines Tages setzte sein Abteilungsleiter mir aus­einander, daß der junge Mann offenbar illegal arbeite und daß ich eine Anzeige an die Gestapo aufsetzen müsse. Ich tat interessiert und empört. Ich versprach, alles Notwendige zu tun.

Eine direkte Warnung war zu gefährlich, wußte ich doch nicht, ob er sich im Ernstfall nicht auch töricht verhalten würde. Ich bestellte also seinen besten Freund zu mir. Wichtigtuerisch eröffnete ich ihm, welche Verdachtsmomente gegen seinen Freund vorlägen, appellierte an sein Gewissen als guter Deutscher und bat ihn, seinen Freund zu be­obachten. Ich war sicher, daß er ihn sofort warnen würde.

Einige Tage später kam der Abteilungsleiter er­neut zu mir und fragte, was ich unternommen hätte. Ich erklärte, daß ich den Mann beobachten ließe, aber noch keine Anhaltspunkte für verbrecherisches Verhalten gefunden hätte. Der Abteilungsleiter for­derte von mir nun, auch ohne weiteres Material, eine Anzeige zu machen. Man könne es nicht ver­antworten, in einer so ernsten Frage zu warten. Oder solle er die Anzeige machen?

Darauf übernahm ich die undankbare Aufgabe. Ich schrieb der Gestapo , welche Beschuldigungen dem jungen Sudetendeutschen gegenüber erhoben würden. Ich wies darauf hin, daß diese Beschul­digungen nach meinen Beobachtungen nicht be­

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