Gefahr

Ostern 1936, an einem regnerischen, unfreund- lichen Abend gehe ich zu einem Genossen. Ich habeMaterial in der Aktentasche. Seine Frau öffnet mir. Meine Brille beschlägt. Die Frau weint. Sie bittet mich um Entschuldigung, daß siemeinen Rock nicht fertig gemacht habe. Ihr Mann sei heute früh verhaftet worden. Da habe sie keine Zeit und keine Gedanken zum Nähen gehabt.

Ich verstehe: Gestapo ist in der Wohnung. Eine hoffnungslose Lage, die diese kleine Frau tapfer und listig zu meistern versucht. Ich spreche ihr Trost zu und verabrede einen neuen Termin zur Anprobe.

Zwei Gestapo -Beamte beobachten uns. Ich tue so, als ob ich sie nicht sähe, öffne meine Handtasche und gebe dem Jungen Bonbons. Ich verabschiede mich und steige die Treppe herunter, überzeugt, daß jeden Augenblick meine Verhaftung erfolgen werde. Ich gehe auf die Straße, ich sehe die Straße hinauf und hinab nichts. Ich gehe die Straße herunter, ich mache viele Umwege, ehe ich mich nach Hause wage. Nichts erfolgt. Ich wurde nicht beobachtet. Ich bleibe frei.

Rudi Weinberg

In jener Zeit war einer meiner treuesten Freunde Rudi Weinberg, Sohn des 1931 verstorbenen sozial- demokratischen Rechtsanwaltes Siegfried Weinberg. Rudi Weinberg war wie ich 1933 Referendar. In den wirtschaftlich und menschlich sehr schweren Jahren nach meiner Haftenlassung hat er mir viel geholfen. Wirtschaftlich: unter Entbehrungen legte er von seinem Verdienst monatlich50 bis 100 Mark beiseite. Dein Geld, sagte er mir. Damit ich mir das Leben bequemer machen, mir Freizeit zum Lesen, Nach- denken und zu politischer Arbeit sichern könnte, damit ich nie zu hungern brauchte. Es war dies der Beginn seinerBeitragszahlung an unsere Gruppe.

11