Ein ehemaliger Genosse macht über mich abfällige Bemerkungen: ,, Sie wird eine Dame, gehört nicht mehr zu uns. Schade, sie war ein patentes Mädchen!" Mein Mann widerspricht nicht. Umgekehrt, er bestätigt dem Freund, daß ich mich sehr verändert habe. Daß diese Änderung Fassade ist, um mein wirkliches Leben zu verdecken, deutet er mit keinem Worte an. Nicht einmal viele Jahre später, nach meiner zweiten Verhaftung. Er bestätigt die Vermutung seiner Freunde: ,, Die Ober- Vorsichtigen fallen am leichtesten herein! Sie hat Pech, daß sie durch einen dummen Zufall der Gestapo in die Hände gefallen ist."
Und trotzdem bleibt er formell bei seiner Ablehnung meiner Arbeit gegenüber. Das drückte sich in gelegentlichem abfälligem Lächeln, in kleinen Bewegungen aus. Es drückte sich darin aus, daß er einen Gedanken, den ich äußerte, ein Buch, das ich ihm empfahl, zunächst ablehnte. Zunächst. Nach Monaten erfuhr ich dann, daß er nicht nur das eine Buch, sondern alles, was von dem Verfasser greifbar war, gelesen hatte, daß er sich mit dem Gedanken auseinandersetzte und sich nun mit mir über die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen zu unterhalten begann.
Das Arbeitsamt machte mir Schwierigkeiten. Trotzdem war ich nie arbeitslos. Ich wechselte mehrfach die Stellungen. Ich fing an, als Stenotypistin zu arbeiten, was mich sauren Schweiß kostete, denn meine technischen Fertigkeiten waren unzureichend. Ich wurde Mahnbuchhalterin. Dann war ich in einer Fahrzeugfabrik Direktionsassistentin. Auf Verlangen der Gestapo mußte ich entlassen werden. Man ,, hielt" mich jedoch: ich arbeitete für die gleiche Firma als ,, selbständige" Lastwagenund Omnibusverkäuferin weiter.
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