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sie, läge alles unter Scherben auf der Straße. So sehr mich diese Nachricht, die mich persönlich am nächsten be- rühren mußte, entsetzte, so gingen der Schmerz und die Empörung hierüber doch fast unter in dem Staunen über das wirklich Unfaßbare, was ich sonst noch hören mußte: Die große Synagoge der Stadt brannte, Juden wurden auf der Straße niedergeschlagen, ihre Geschäfte in wildem Vandal'smus zerstört, die Waren geraubt oder einfach vernichtet. Es war ein Pogrom! Ich habe in Büchern von solchen Ausschreitungen gelesen. Sie er- eigneten sich in Polen , in Rußland , irgendwo fern im Osten. Ich hätte es niemals, auch in den letzten Jahren nicht, für möglich gehalten, daß ähnliches in Bayerns Hauptstadt geschehen würde. Die Nacht ist über uns gekommen. Wenn in solcher Stunde das Telefon klingelt, kann man nur eine Hiobsbotschaft erwarten. War es ein Freund oder ein Feind?— mir wurde geraten, aus meiner Wohnung zu fliehen.
Ich habe nicht gemordet, nichts gestohlen, niemanden geschändet, ich bin nicht defraudiert. Doch bin ich ein Verbrecher auf der Flucht. Und meine Kennzeichen sind jedermann kundgetan: Jagt ihn, er ist ein Jude! In einer Autodroschke flüchtete ich in der Nacht nach Laim. Freunde nahmen mich auf. Frieden schien in ihrem kleinen Haus zu herrschen. Man labte mich, man beruhiste mich, man bereitete mir ein Lager. Doch schon um sieben Uhr früh wurde ich geweckt, und man teilte mir aufgeregt und ängstlich mit, daß SS-Streifen
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