das Schweigen des Toten schien Lauterbach fremd, und er konnte es nicht verstehen. Während er grübelnd in das eingefallene, blasse Gesicht starrte, stieg in ihm die Erwartung auf, daß der Tote ihm eine Botschaft hinterlassen haben müsse. Dieser Gedanke steigerte sich zu einer Art Besessenheit, und von ihr getrieben verließ Lauterbach seinen Posten am Bette des Toten und begann zögernd erst und ängstlich nach den Papieren Waags Umschau zu halten, in denen diese Botschaft enthalten sein mochte. Auf dem Schreibtisch war nichts zu finden außer ein paar längst verjährten Zeitschriften mit Aufsätzen, die Waag kurz vor der ,, Periode seines großen Schweigens" veröffentlicht hatte. In einem unverschlossenen Fach des Schreibtisches aber entdeckte Lauterbach zwischen zwei Pappdeckeln, die als Aufschrift nur die Jahreszahlen 19.. bis 19.. trugen, ein gewaltiges, offenbar viele tausend Blätter umfassendes Manuskript. Kein Zweifel, daß sie das große Werk darstellten, um dessentwillen der Meister sich selbst zu so langem Schweigen verurteilt hatte, die Frucht jenes unvergleichlichen Eifers, jener siegreich strömenden Phantasie, deren Wirken für Lauterbach nach der ersten Bestürzung zu einer so disziplinierenden Kraft, zu einer starken Quelle für sein eigenes Schaffen geworden war.
Mit hastigen Bewegungen löste er die Fäden, die das Manuskript zwischen den beiden Pappdeckeln lose zusammenhielten und verstreute in seiner Ungeschicklichkeit die Blätter über den Boden. Entsetzen schien ihm die Sinne zu verwirren. Er stierte auf die Blätter in seinen Händen, auf dem Schreibtisch und auf den Dielen. Sie alle waren bedeckt mit den gleichen Zeichen. Mechanisch hingesetzte flüchtige Striche reihten sich aneinander:
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