ein gewaltiger Sprung! München war für Lauterbach die Stadt des lebendigen Geistes. Es war die Stadt der deutschen Boheme, von deren umstürzlerischer Verwegenheit und rauschender Lebensfreude er manches gelesen und auch gehört hatte. Daß inzwischen viele Jahre vergangen waren, kam ihm nicht in den Sinn, und es bedrückte ihn die Vorstellung, er werde von nun an zu einem fortgesetzten geistigen Zweikampf antreten müssen. Die Kunst, bisher ein träumendes Leben und Lieben, wurde nun zu einer Verpflichtung, zu einer Aufgabe, der man durch mühevolle Arbeit gerecht werden mußte.
Lauterbach hielt es in seinem Abteil nicht aus. Er trat auf den Gang, stand mit unsicheren Füßen auf der schüttelnden Plattform. Schwarze Nacht lag über dem Land, durch das ihn der Zug trug. Er preßte sein Gesicht gegen das Fenster und konnte doch nur sein eigenes Spiegelbild sehen. Dabei wäre es gerade darauf angekommen, die Finsternis mit den Blicken zu zerreißen und in den Kern ihrer Geheimnisse zu schauen! Wenn du auf dem Grund jeder unbeantworteten Frage des Lebens nur dich selber findest, was ist das schon-? Lauterbach war traurig und tief unzufrieden mit sich selbst.
Früh am Morgen lief sein Zug in München ein. Lauterbach ließ sein Gepäck auf dem Bahnhof und erfragte sich den Weg nach dem Café Stephani; denn war die Stadt München der Sitz der Boheme, so war das Café Stephani ihr Hauptquartier gewesen, das Zentrum, die Kernzelle des geistigen Lebens. Alle Anekdoten hatten sich dort zugetragen, biographische Notizen und Briefe sprachen immer wieder vom Café Stephani, so daß selbst die zünftigen Literaturhistoriker nicht umhingekonnt hatten, es in den Kreis ihrer Betrachtungen einzuschließen.
Es war ein denkwürdiger Weg für Lauterbach . Er war voller Neugierde und erregt bei dem Gedanken, daß er sich nun an einem Tisch niederlassen werde, an dem vor ihm Wedekind
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