selte dort an einem Sonntagnachmittag seine wohl um zehn Jahre jüngere Frau, nachdem sie von einem Spaziergang über die Wälle heimgekehrt war. Allgemein wurde vermutet, daß es sich um einen Akt der Eifersucht handelte. Baudörfer aber erklärte im Prozeß, er habe den Mord aus Langerweile verübt, und er forderte die Geschworenen auf, nur einmal einen einzigen Sonntag von Morgen bis Abend in Wasserbergen zu verbringen. Auf Grund dieser Verteidigung wurde Baudörfer nicht verurteilt. Die Gerichtsärzte erklärten ihn für geistesgestört, und er wanderte statt ins Gefängnis ins Irrenhaus. Nachdrücklicher als zuvor drangen Lauterbachs Freunde auf ihn ein, Wasserbergen zu verlassen. Der Fall Baudörfer wurde von ihnen als Beispiel angeführt, wohin ein freier und unabhängiger Geist in solch kleinstädtischer Enge getrieben werde. Sie wiesen, da Lauterbach zu trinken begonnen hatte, auch auf das Schicksal Heidenreichs hin; einst ein hervorragender Klaviervirtuose hatte er sich nach mehreren Jahren des Aufenthalts in Wasserbergen völlig dem Trunke ergeben.
Lauterbach, den die Tragödie des Stadthistorikers tief ergriffen hatte, zeigte sich nun endlich ihren Argumenten zugänglich. Ermuntert wohl auch durch den Abdruck seiner ,, Sonette an G." erklärte er, daß die Stadtbibliothek als Quelle seines Wissens nicht ausreichend, der ,, Bote für Wasserbergen und Umland" ein zu beschränktes Feld seines Wirkens sei. Nach einer Abschiedsfeier im Wirtshaus ,, Zum König Ludwig" und einigen Abschiedsszenen vor den mittelalterlichen Stadttoren, bestieg er eines Abends den Nachtschnellzug nach München .
Kaum waren die Lichter von Wasserbergen im Dunkel verschwunden, da stellten sich Scheu und Verzagtheit als Reisebegleiter des jungen Dichters ein. War er auch von seinem Können überzeugt, so hatte er es doch noch nie am Können anderer gemessen. Von Wasserbergen nach München , das war
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