Sie standen nun auf der Kuppe des Hügels. Vor ihnen lag das Maintal mit dem glitzernden Band des Stromes, um das sich in der Ferne die Lichter der Stadt scharten. Der Schein des Mondes ließ Josefas helles Haar wie eine Krone leuchten. Er floß golden über die Haut ihres Nackens und über ihre vollen, nackten Arme.
Sie sagte mit spröder Stimme: ,, Deine Mutter wird einen schlimmen Fehler an mir entdecken. Ich bin fünf Jahre älter als du. Eines Tages wirst auch du mir das nicht verzeihen." Wie kannst du das nur sagen!" rief er. Er zog sie an sich und küẞte ihren Mund. Süß war ihre Umarmung und schmerzlich. Eine trübe Ahnung warnte Erwin, daß die Zeiten unbekümmerter Daseinsfreude mit Josefa zu Ende seien.
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Stärker noch meldete sich dieses Empfinden am nächsten Tag. Josefa, gleichfalls beunruhigt, sprach von ihren Ferienplänen. Sie fragte nach dem Stand ihres kleinen Kontos, das sie auf Erwins Rat für ihre Ersparnisse eingerichtet hatte. Sie wollte daraus ihren Anteil an der gemeinsamen Alpenreise bestreiten, die sie in solcher Heimlichkeit vorbereiteten.
Nur unwillig ließ sich Erwin auf dieses Gespräch ein. Seine Gedanken waren so sehr bei der Mutter, daß er es schließlich wie eine Art Befreiung empfand, als es Zeit wurde für Josefa, zurückzufahren. Auf dem Weg zum Bahnhof meinte sie, daß sie eigentlich noch bleiben und den Morgenzug am Montag früh nehmen könne. Sie hatte es schon öfter auf Erwins Drängen getan und bei solcher Gelegenheit die Nacht zum Montag in seiner kleinen Junggesellenwohnung verbracht. Heute überhörte er ihre Bemerkung.
Kaum daß sich ihr Zug in Bewegung gesetzt hatte, eilte er auch schon vom Bahnsteig an ein Telefon und rief die Klinik an. Eine Schwester antwortete mit geschäftsmäßiger Höflichkeit, die Patientin befinde sich wohl.
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Mehr über das Ergehen der Mutter konnte er auch am
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