Äste klagend erhoben. Von der Endstation der Straßenbahn ratterte ein gelber Wagen stadtwärts.

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Schmerzlich empfand Erwin, welche Kluft doch die letzten Monate zwischen ihm und der Mutter aufgerissen hatten. , Wir sind so allein", die Worte hallten noch immer quälend in ihm nach. Hätte er nur mit ihr über Josefa reden können, so würde alles besser geworden sein. Würde sie nicht fragte er sich gar frohen Anteil genommen haben an sei­nem Glück? Sie hatten doch sonst stets in allem übereinge­stimmt! Immer waren sie sich einig gewesen in ihren An­sichten. Sie liebten die gleichen Bücher, dieselbe Musik.

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SO

Erwin erinnerte sich eines Spiels, das er als Knabe mit der Mutter in ihrem Zimmer über dem Laden des Vaters gespielt hatte.

Die Mutter saß in ihrem Stuhl am Fenster und nähte. Erwin blickte auf die Straße. Nach einer Weile rief er: ,, Da kommt der Wolf!"

,, Laß mich nachdenken, wer das sein kann", zögerte die Mutter, die Hände mit dem Nähzeug im Schoß und riet dann: ,, Der Tischler Franken!"

Natürlich behielt sie recht damit. Auf wen sonst auch hätte sie raten können? Von allen Leuten in Mellrichstadt hatte nur der Tischler Franken mit seinem struppigen Bart und dem stechenden Blick unter buschigen Brauen etwas wirklich Wölfisches an sich.

Nun kam Erwin an die Reihe. Er verbarg sein Gesicht hinter den grünen Vorhängen, während die Mutter forschend aus dem Fenster sah.

,, Das Wiesel, das Wiesel!" kündigte die Mutter an. Nie­mand anders als Steinfeld, der Organist, konnte das sein. Mit seinem dünnen Stöckchen in der Hand hüpfte er seitlich an die Häuser gedrückt dahin, um dann überraschend von einer Seite der Straße auf die andere zu springen.

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