,, Wir sind so allein", klagte die Mutter. ,, Warum nur kommst du nie mehr nach Haus?"

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Sprech­zimmers und Waldinger trat mit rotem, fröhlichem Gesicht ein. Die Mutter begrüßte er, indem er ihre beiden Hände er­griff. Erwin ärgerte sich über die Selbstverständlichkeit, mit der er von ihr als seinem Opfer Besitz zu nehmen schien.

"

, Was hast du nur für dumme Bilder an der Wand hän­gen!" rief der Vater dem Arzte zu.

Waldinger lachte. ,, Meine Patienten nehmen es nicht so genau", meinte er ,,, schließlich ist dies doch eine Frauen­klinik."

Dann verschwanden alle drei im Sprechzimmer. Erwin blieb allein zurück.

Er spürte den schwachen Geruch von Jod, der durch die geöffnete Tür des Sprechzimmers eingedrungen sein mochte, und Beklommenheit befiel ihn.

Die Arme auf die Knie gestützt starrte er vor sich hin. Warum ließ man ihn nicht wissen, was der Mutter fehlte? Wozu machte man ein Geheimnis daraus? Eine Operation ist doch keine Kleinigkeit! Würde Waldinger den Vater mit ins Sprechzimmer nehmen, wenn es nicht ernst war? Gewiß, die Mutter hatte gesünder ausgesehen als je, aber welche Trauer hatte doch auf dem Grunde ihrer Heiterkeit gelegen! Und gab es nicht Krankheiten, besonders schwere, ans Leben ge­hende Leiden, die den Kranken gerade im gefährlichsten Sta­dium scheinbar aufblühen ließen?

Erwin sprang auf und trat an das Fenster. Den Vorgarten hatte des Doktors gewöhnlicher Humor mit gipsernen Zwer­gen und giftroten riesigen Fliegenpilzen aus gleichem Stoff belebt. Auf der Straße dahinter standen ärmlich in genau be­messenen Abständen wie die Zöglinge eines Waisenheims zwei Reihen junger Bäume mit dürren Stämmen, die kupierten

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