Mit ernstem Gesicht stand der Vater dabei, die Reisetasche in der Hand. Es beruhigte Erwin, daß seine forschenden Blicke keine Spuren des Leidens an der Mutter entdecken konnten. Ihre klaren, rehbraunen Augen strahlten im mor­gendlichen Tag, frisch spannte sich die Haut über ihr Ge­sicht, und der saftige Mund sprach von heiterer Lebens­kraft.

Erwin hatte in diesen letzten Monaten Dinge zu sehen ge­lernt, die ihm früher verborgen geblieben waren. Jetzt fragte er sich beim Anblick der Mutter, ob die Männer sie wohl noch begehrten. Er, der jetzt zu wissen glaubte, was Liebe bedeu­tete, würde es gewiß verstanden haben.

Sie hielten sich nicht auf. Mit der Straßenbahn fuhren sie zu Waldingers Klinik. Die Eltern saßen in einer Bank neben­einander, Erwin hinter ihnen. Von Zeit zu Zeit sah sich die Mutter nach ihm um und lächelte ihn an.

,, Mein großer Bub", flüsterte sie. Ihre Stimme zitterte, und Erwin glaubte nun doch in ihren Augen eine besondere Weh­mut, eine Trauer eigener, ihm rätselhafter Art zu spüren. Dann sprach die Mutter mit dem Vater. Die Räder ratterten laut in den Schienen, und unablässig warnte die schrille Glocke Menschen und Fuhrwerke, die die schmalen Straßen am Markttage füllten.

Nur gelegentlich konnte Erwin wenige Worte von dem Ge­spräch auffangen, das zwischen den Eltern geführt wurde.

,, Ich wünschte, wir täten es nicht", sagte die Mutter ein­mal mit rotem Gesicht. Des Vaters Schultern fuhren ärger­lich auf. ,, Was willst du nur, Lena?" rief er und sprach dann rasch in gedämpftem, aber gereiztem Tone weiter.

Als die Mutter sich später noch einmal Erwin zuwandte, waren ihre Augen feucht und ihr Gesicht trug einen fremden Ausdruck.

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An der Endstation stiegen sie aus, und Erwin reichte der